EISKALTER SCHLAF: Poesie des Bösen: Thriller (German Edition)
rankommen“, sagte Hirschau.
„Nun, ich schlage vor, den okkultistischen Schnürboden zu verlassen und wieder das trittfeste Gelände der Realität zu betreten. Ob die Serienmorde eine okkulte Inszenierung des Bösen gewesen sein könnten … Ich will es kurz machen: Das glaube ich nicht. Nein. Und das aus einem einzigen Grund: Das würde ja bedeuten, dass eine Handvoll diabolischer Gurus die Realität kassieren und unsereinen zum Pawlowschen Hund des Bösen machen könnte.“
„Ich vermute, dass sich hinter diesen Serienmorden Vergeltung für eine entsetzlich grausame Tat verbirgt.“
Der Professor nickte. „Für mich als Politologe ist wichtig, was historisch verifiziert werden kann. In der Vergangenheit hat man immer wieder, was Richter Kollmann betraf, die moralische Frage gestellt und ausgelotet … Kollmann war nicht an irgendeinem Mann oder an irgendeiner Frau persönlich interessiert. Er war wohl eher vom Bösen fasziniert.“ Jerec Salomon erhob sich. „Kommen Sie.“
Er führte Hirschau in den beheizten Kellerraum seines Hauses, in dem er ein gewaltiges Archiv angelegt hatte.
„Dies ist eines der wichtigsten Naziarchive in Europa. Vielleicht nicht quantitativ, aber qualitativ. Es enthält eine Vielzahl seltener Originale. Der größte Teil stammt aus den Jahren 1944 und 1945.“ Salomon nahm eine Akte aus dem Regal. „Hier haben wir eine von Kollmanns ersten Veröffentlichungen. Der Artikel erschien Anfang 1943 in einem Juristenblatt. Ich lese mal vor: Die Isolation des Bösen liegt jetzt im Bereich des Möglichen, es von allen Vorurteilen zu befreien, die trügerische Schale der Humanität von ihm zu nehmen. Es geht noch weiter. Verstümmelung, Folter und Greueltaten zu begehen ist gleichsam ein Weg zur Läuterung. Gleichsam das Sakrament der Grausamkeit und Furcht. “
„Was halten Sie davon?“, fragte Hirschau.
„Dieser Mann war nicht nur ein simpler Fanatiker oder dergleichen.“ Salomon schlug eine weitere Seite auf und las: „Sie sollen verloren, gebrochen und krank sein. Und sie sollen den Namen ablegen, und in dem Namen ist das Wort. Nur das Wort ist das Instrument der Lüge und der Falschheit …“
Hirschau unterbrach. „Moment mal. Was steht da? Das Wort ist das Instrument der Lüge und der Falschheit?“
„Ja.“
„Aber ist das nicht aus der Bibel und bezieht sich auf das Dasein eines Engels?“
„Richtig. Wenn sich einer als Engel bezeichnet, glaubt er, sich nicht der menschlichen Moral unterwerfen zu müssen.“
„Hm … Das ist krank, vollkommen krank.“
Salomon ignorierte die Bemerkung. „Menschen wie Kollmann waren damals in der Gesellschaft ausgesprochen angesehen. Nur verständlich, dass die ersten Gerüchte in Umlauf kamen“, fuhr er fort.
„Was für Gerüchte?“
„Nun, es heißt, überall dort, wo er den Richtervorsitz hatte, seien Menschen verschwunden. Es waren immer die Angeklagten des Verfahrens, überall. So ließ sich nie ein Zusammenhang herstellen.“
„Verstehe. Die Männer, die mit Kollmann umgebracht wurden, haben mit ihm zusammengearbeitet.“ Hirschau holte die alten Tatortfotos aus seiner Mappe. „Laut Obduktionsbericht wurden Kollmann und seine Gäste mit Genickschüssen hingerichtet, doch vorher wurden sie alle bei vollem Bewusstsein verstümmelt. Richter Kollmann und Staatsanwalt Dr. Specke hat man die Zungen herausgeschnitten, dem Beisitzer Nüsker wurden die Augen ausgestochen, Kemper wurden die Hoden entfernt und Wilhelms die Hand abgehackt. Und ihre Wunden wurden mit Säure verätzt.“
„Das ist es. Das passt doch zu dem, was uns Kollmann in seinen Aufzeichnungen hinterlassen hat.“ Salomon nickte beim Betrachten der Bilder.
Hirschau blätterte in seiner Mappe und holte das Gerichtsurteil gegen Maryam Krasinski heraus. „Die Opfer von München, Essen, Florenz und Istanbul wurden auch verstümmelt. Auf dieselbe Art und Weise. Das ist die Verbindung. Es ist eindeutig ein Vergeltungsakt. Hier geht es um Rache.“
„Aber wenn Krasinski tot ist, wer rächt sich dann an wem? In den Zeitungsartikeln darüber war noch die Rede von einem Kind“, murmelte Salomon nachdenklich. „Die Ermittlungsbeamten fanden in Kollmanns Haus ein sechsjähriges, völlig verstörtes Kind, Kollmanns Enkel Konstantin. Der Junge musste jeden einzelnen bestialischen Mord mit ansehen, und anschließend … ließen sich die Mörder an ihm aus.“
„Darüber stand nichts in den Akten. Mein Gott, das ist grässlich. Was wurde aus dem Kind?“
„Es
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