Eiskalter Wahnsinn
Todeszeit eine eher auf architektonischen denn auf archäologischen Fakten basierende Vermutung. Trotz fehlender Beweise war Watermeier überzeugt gewesen, es handele sich um einen Mafiamord.
Adam lächelte darüber. Er konnte sich nicht vorstellen, dass die Mafia mitten in Connecticut operierte, obwohl Watermeier ihn rasch mit ein paar wüsten Geschichten versorgt hatte. Zumindest waren sie ihm wüst vorgekommen. Er war immerhin in Brooklyn aufgewachsen und glaubte, einiges über die Mafia zu wissen. Henry Watermeier hatte seine Karriere allerdings als Streifenpolizist in New York begonnen und wusste deshalb vermutlich auch ein paar Dinge über die Mafia und ihre Morde.
Adam Bonzado fragte sich unwillkürlich, ob sie es im gegenwärtigen Fall vielleicht auch mit dem organisierten Verbrechen zu tun hatten. Leichen in verrostete Fünfundfünfzig-Gallonen-Fässer zu stecken und in einem stillgelegten Steinbruch unter Tonnen von Sandsteinbrocken zu verbergen, klang durchaus nach einem Einfall der Mafia. Wenn allerdings Knochen in der Gegend herumlagen, wie Henry berichtete, hieß das, jemand hatte sich mit der Beseitigung der Leichen nicht allzu viel Mühe gegeben. Die Mafia war gewöhnlich nicht so sorglos.
Adam langte nach der Kassette, die zwischen Sitz und Tür eingeklemmt war, und las die Rückseite. Perfekt. Er hantierte mit der Plastikhülle, senkte das Tempo, als er eine weitere S-Kurve nahm, und befreite die Dixie Chicks aus ihrer Hülle. Mit leichtem Schubs schob er die Kassette ins Laufwerk und drehte die Lautstärke auf.
Ja, das war genau das Richtige für seine Stimmung. Etwas Lebhaftes, dass die Füße automatisch im Takt wippten und das Blut in Wallung kam. Er konnte nichts dafür, Knochen auszugraben brachte ihn auf Touren und pumpte ihm Adrenalin in die Adern. Es gab nichts Spannenderes. Klar, er unterrichtete auch gern, aber das diente nur dem Lebensunterhalt. Das hier – Leichen in Fässern und verstreute Knochen –, dafür lebte er.
Leider verstanden seine Eltern das nach zehn Jahren immer noch nicht. Er hatte einen Doktor in forensischer Anthropologie, eine Professur und war Fachbereichsleiter an der Universität von New Haven. Und seine Mutter stellte ihn immer noch als ihren jüngsten Sohn vor, der Single war und die Konzertina spielen konnte, als seien das seine hervorstechendsten Merkmale.
Er schüttelte leicht den Kopf. War es nicht langsam an der Zeit, dass ihn derlei kalt ließ? Er war schließlich erwachsen. Wie seine Eltern ihn sahen, sollte ihm gleichgültig sein. Dass es das nicht war, bewies ihren Einfluss auf ihn. Offenbar hatte er den ruhigen, rebellischen Geist vom spanischen Vater und den störrischen Stolz der polnischen Vorfahren seiner Mutter geerbt.
Nachdem er die Serpentinen hinaufgekrochen war, ging es wieder hinab. Der alte Pick-up flog nur so dahin. Adam bremste nicht, sondern genoss die Achterbahnfahrt, hantierte mit dem starren Lenkrad, drehte, schob und zog es zu den sinnlichen Klängen der Dixie Chicks. Plötzlich war die Kreuzung da. Adam trat heftig auf die Bremse. Der Pick-up kam schlitternd Zentimeter vor dem Stoppschild zum Stehen und nur Sekunden, bevor ein UPS-Lieferwagen seine Bahn kreuzte.
„Mist! Das war knapp.“
Die Hände zu Fäusten verkrampft, die Finger rot, umklammerte er immer noch das Lenkrad.
Der UPS-Fahrer hob jedoch nur winkend die ganze Hand – kein Stinkefinger, kein mit den Lippen geformtes „Scheißkerl“. Vielleicht hatte der Knabe gar nicht realisiert, dass er ihm fast in die Seite geknallt wäre. Adam langte hinüber und drehte die Dixie Chicks leiser. Dabei bemerkte er das Stemmeisen, das unter dem Beifahrersitz nach vorn gerutscht war.
Er vergewisserte sich mit einem Blick in den Rückspiegel, dass hinter ihm kein Auto kam, nahm das Stemmeisen vom Boden auf und warf es durch das geöffnete Rückfenster auf die Ladefläche. Es schlug gegen die Auskleidung, und er zuckte zusammen. Hoffentlich hatte er nicht die provisorische Wanne geknackt, die er soeben eingebaut hatte. Sie bestand aus festem Polyurethan in einem geprägten Rechteckmuster, war leicht zu reinigen und würde die Ladefläche vor Rost und Korrosion schützen, gleichgültig wie viel Schlamm, Knochen und Blut er dort hinten verstauen musste. Eine nützliche Maßnahme, damit sein Pick-up nicht zur stinkenden, mobilen Leichenhalle wurde.
Er sah auf den Boden, ob noch mehr Werkzeug herumlag. Er würde seine Studenten erinnern müssen, dass sie es wieder verstauten,
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