Eiskalter Wahnsinn
Damals war er im Fernsehen gewesen, aber er hatte nicht viel sagen dürfen. Die Frau war gestorben. Wie lange war das her? Ein Jahr, zwei? Sicher nicht so lange, dass es normal war, sich nicht an ihren Namen zu erinnern.
Nun erschien er wieder im Fernsehen, weil eine weitere Frau tot war. Er kannte nicht mal ihren Namen. Er schaute zurück zur Absperrung, von der sie ein gutes Stück entfernt waren. Von der Absperrung und von dem Deputy, der sie bei jedem Näherkommen anschrie. Trotzdem sah Luc das umgestürzte Fass mit der Delle. Ein großer Steinbrocken verhinderte, dass es die Halde ganz hinabkullerte. Man hatte eine Plastikplane darüber gedeckt. Vor seinem inneren Auge sah er jedoch immer noch den graublauen Arm aus der Tonne ragen, der halb herausgeragt hatte, als versuche die Leiche hinauszukrabbeln. Mehr hatte er nicht sehen können, aber das reichte ihm auch – ein Arm und verklebtes Haar.
Luc spürte einen Stupser am Bein. Ohne hinzusehen langte er hinab, damit der Hund ihm die Hand lecken konnte. Da die erwartete Reaktion ausblieb, blickte er zu Scrapple hinunter, der sofort in Abwehrstellung ging und die Beute fester packte, die er seinem Herrchen zur Begutachtung gebracht hatte. Noch ein Knochen. Luc ignorierte ihn und blickte wieder zu der Menschenansammlung hinter den Bäumen hinüber.
Schlagartig wurde es ihm jedoch bewusst. Warum hatte er nicht früher daran gedacht? Er sah wieder zu seinem Hund hinab, der die große Beute jetzt mit beiden Pfoten packte, während er am fleischigen Ende kaute und versuchte, den ganzen Knochen mit den Zähnen zu umschließen. Luc wurden die Knie weich.
„Heiliger Strohsack, Scrapple! Woher in aller Welt hast du das?“ fragte er seinen Jack Russell. Inzwischen war es um ihn herum still geworden, da sich alle nach ihm umdrehten.
Luc sah die Reporterin an und fragte: „Glauben Sie auch, dass es das ist, wonach es aussieht?“
Anstatt einer Antwort und wie zur Bestätigung seiner Vermutung erbrach sie sich auf Calvin Vargus’ riesige Stiefel. Sie hob die Hand, um die Kameralinse abzudecken. Zwischen Würgereizen schrie sie: „Abschalten! Um Himmels willen, schalte die Kamera aus!“
8. KAPITEL
Sheriff Watermeier brauchte keinen forensischen Experten, um zu erkennen, auf was er da schaute. An dem großen Knochen, den Luc Racine ihm hinhielt, hing noch genügend Fleisch, das die kleineren Knochen zusammenhielt. Obwohl ein paar kleinere Knochen fehlten und das Fleisch schwarz und verwest war, bestand kein Zweifel, was der Jack Russell Terrier ausgegraben hatte. Was Luc Racine in Händen hielt, Handflächen nach oben, als reiche er eine Gabe dar, war ein menschlicher Fuß.
„Wo zum Teufel hat er das gefunden?“
„Keine Ahnung“, erwiderte Luc, trat näher und sah Henry in die Augen, als wollte er vermeiden, mehr als nötig auf den Fund des Hundes zu blicken. „Er hat es mir gebracht, aber ich weiß nicht, wo er es gefunden hat.“
Henry winkte jemand von der mobilen Spurensicherung herbei, einen dünnen Asiaten in blauer Uniform, auf dessen Namensschild Carl stand. Zum Glück kannte er die Leute von der mobilen Spurensicherung nicht namentlich, weil er normalerweise nichts mit ihnen zu tun hatte. Sie kamen aus dem kriminaltechnischen Labor von Meriden. Die Stadt lag ein Stück entfernt. Das hieß zugleich, die wirklich schlimmen Verbrechen geschahen irgendwo außerhalb der Grenzen von New Haven County. Zum zweiten Mal an diesem Tag hoffte er, dass dieser kranke Bastard von einem Täter ihm nicht seine Pensionspläne ruinierte. Bis heute war seine Bilanz makellos, er hatte in seiner Laufbahn keine ungelösten Fälle hinterlassen. Und so sollte es verdammt nochmal auch bleiben.
„Das ist nicht aus dem Fass gefallen, oder?“ fragte Carl, schüttelte einen Beweisbeutel aus Papier auf und hielt ihn Luc unter die Hände, damit er die Knochen hineinfallen lassen konnte.
Doch Luc, der es vorher nicht hatte abwarten können, die Dinger loszuwerden, starrte Henry nur an. Als der ihm zunickte, er solle die Knochen in den Beutel geben, schien ein Ruck durch Luc zu gehen, als sei er aus einer kurzen Trance erwacht, und er ließ die Knochen fallen.
Henry behielt ihn sorgfältig im Auge. Luc Racine war einer der Ersten gewesen, die er und Rosie hier kennen gelernt hatten. Jeder kannte Luc. Er war der beste und freundlichste Briefträger der Gegend, der jeden mit Namen anredete. Henry erinnerte sich, dass Luc einmal ein Päckchen geliefert hatte, als er nicht zu
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