Eiskalter Wahnsinn
Hause gewesen war. Luc hatte es in Plastik eingewickelt hingelegt und einen Zettel dazu getan, es habe nach Regen ausgesehen. Das war noch gar nicht so lange her, und nun war Luc vorzeitig in Pension gegangen. Man munkelte, er habe die ersten Symptome einer Alzheimer-Erkrankung.
Wie war das möglich? Der Mann sah jünger aus als er selbst. Obwohl sein Haar silbergrau war, hatte er eine Menge davon. Sein Haar hingegen wurde zunehmend schütter und die Stirnglatze immer größer. Racine wirkte schlank und fit mit muskulösen Armen vom jahrelangen Heben und Austragen der Post. Dafür konnte Henry trotz eines kleinen Bauchansatzes stolz darauf verweisen, immer noch in seine erste New Yorker Polizeiuniform zu passen, die er vor über dreißig Jahren bekommen hatte.
Während Henry den vor ihm stehenden Luc betrachtete, musste er zugeben, dass der geradezu wie das Musterbeispiel eines gesunden Mannes in den Sechzigern wirkte. Mal abgesehen von dem leeren Blick, der plötzlich da war, so wie jetzt. Dann wirkte er verloren und völlig abwesend.
„Ich glaube, da sind noch mehr“, sagte Luc, griff unter sein schwarzes Barett und fuhr sich kratzend mit den Fingern ins dichte Haar, als könnte das seiner Erinnerung auf die Sprünge helfen.
„Noch mehr?“ Henry sah Luc prüfend in die Augen. War das wieder Ausdruck seiner Krankheit? Redete er Unsinn? Hatte er vergessen, wo er war und was gerade geschah? „Noch mehr wovon?“
„Knochen“, erwiderte Luc. „Der alte Scrap hat mir vielleicht noch mehr gebracht. Er schleppt mir dauernd so ‘n Zeugs an: Reste, Knochen, alte Schuhe. Aber die Knochen … ich dachte immer, er hätte Reste von Tieren gefunden. Sie wissen schon, von dort unten am Teich.“
„Haben Sie welche aufbewahrt?“
„Nein.“
„Verdammt!“
„Aber Scrapple wahrscheinlich. Ich bin mir sicher, er hat einige auf dem Grundstück vergraben.“
„Dann müssen wir nachsehen. Sie haben doch nichts dagegen, Luc, oder?“
„Nein, nein, überhaupt nicht. Glauben Sie, die Knochen gehören zu der Lady in dem Fass?“
Ehe Henry antworten konnte, lenkte Charlie Newhouse, einer seiner Deputys, durch Zuruf die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich. Charlie und zwei Leute vom kriminaltechnischen Labor hatten versucht, das Fass mit der Frauenleiche vorsichtig von den Felsen zu heben. Alle Fotos waren gemacht, die Beweise eingesammelt, und der assistierende Gerichtsmediziner hatte die Anfangsuntersuchung durchgeführt. Es wurde Zeit für den Abtransport, doch Charlie schien sich über irgendetwas aufzuregen. Charlie regte sich nie auf, außer nach ein paar Bier und auch dann nur, wenn die Yankees einen Triple schafften.
„Okay, Charlie, was gibt’s?“ Henry gesellte sich zu den anderen und blickte zu Charlie hinauf, wobei er mit einer Hand in Stirnhöhe die Augen vor der grellen Sonne schützte. „Charlie, was zum Teufel ist da los?“
„Ist vielleicht nicht wichtig, Sheriff!“ rief Charlie, balancierte von Fels zu Fels und sah dabei so aufmerksam zu Boden, als suche er verlorenes Wechselgeld. Dann ging er in die Hocke, um noch besser sehen zu können. „Ist vielleicht überhaupt nicht wichtig. Aber da unten scheinen noch mehr Fässer zu liegen. Und etwas stinkt hier zum Himmel.“
9. KAPITEL
Adam Bonzado schob Tom Clancy beiseite und lenkte, am alten geborstenen Vinyllenkrad ziehend und drückend, mit einer Hand den Pick-up die kurvige Straße hinauf. Bei jeder neuen Steigung stöhnte der alte El Camino, als riefe er nach einem anderen Gang. Adam brachte den Kassettenstapel auf dem Beifahrersitz durcheinander, in dem auch die drei von Tom Clancys Red Rabbit steckten. Immer wieder einen kurzen Blick hinüberwerfend, suchte er etwas, das besser zu seiner Stimmung passte. Tom Clancy traf es heute nicht.
Sheriff Henry Watermeier hatte aufgeregt geklungen, vielleicht sogar ein wenig nach Panik. Im letzten Winter hatten sie zusammen einen Fall bearbeitet. Beim Abriss eines alten Gebäudes in Meriden war ein Schädel zum Vorschein gekommen. Adam hatte lediglich feststellen können, dass es sich um den Kopf eines kleinen männlichen Weißen im Alter zwischen zweiundvierzig und siebenundsiebzig Jahre gehandelt hatte, der vor fünfundzwanzig bis dreißig Jahren gestorben war. Da ihm nur der Schädel zur Verfügung stand, war es schwierig gewesen, weitergehende Aussagen zu treffen. Der Körper war offenbar woanders begraben worden. Trotz umfangreicher Suche hatten sie ihn nicht entdeckt, und so blieb die
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