Eiskalter Wahnsinn
als gewiefter Stratege mit Berechnung, war Maggie nicht klar. Ein harter, unabhängiger Sheriff wie Watermeier machte so etwas jedoch nicht ohne Grund.
Sie wandte sich der Gruppe am Fass zu und erwiderte schlicht: „Dann sollten wir uns wohl besser an die Arbeit machen.“
Maggie drehte sich nicht zu ihm um, um seine Reaktion zu sehen. Doch er war sogleich neben ihr und verkürzte wieder seine langen Schritte, damit sie nebeneinander her gehen konnten.
19. KAPITEL
Henry Watermeier stellte Spezialagentin Maggie O’Dell den anderen aus der Ermittlungsgruppe vor und beobachtete die kurzen Begrüßungen und die abschätzenden Blicke. Natürlich erhielt Bonzado den längsten Blick.
Bonz wirkte in seinem Hawaiihemd wie der typische kalifornische Surferboy und nicht wie ein Professor. Trotz seines Aufzugs war er jedoch brillant. Auf eine bescheidene, unaufdringliche Art verstand es auf wundersame Weise, einem Haufen Knochen eine Identität zu geben.
Was Dr. Stolz, der Rechtsmediziner, von ihm hielt, wusste Henry, seit der ihm einen seiner berüchtigten Was-soll-das-Blicke zugeworfen hatte, sobald er Bonzado entdeckte. Stolz verlor auch jetzt kein Wort, seine finstere Miene besagte allerdings: die Bundespolizei? Sie haben schon die verdammte Bundespolizei geholt?
Vermutlich sah er darin besorgt eine Beschneidung seiner Kompetenz. Eigentlich war es Henry egal, was Stolz oder die anderen dachten. Er lebte schon lange nach der simplen Philosophie: Sorg dich um den eigenen Hintern.
Sie hatten inzwischen einen Leichensack unter eines der Fässer geschoben, das geborsten war, als Vargus es aufgerüttelt hatte. Henry hätte es gleich hier aufladen lassen und das männliche Opfer zu dem weiblichen von gestern in die Leichenhalle gebracht.
Die Entscheidungen traf jedoch jetzt Dr. Stolz. Er wollte die geborstenen Fässer hier am Fundort entleeren, aus Sorge, beim Transport könnten die brüchigen Reste weiter zerstört werden. Dieses Verfahren sah für Henry allerdings auch nicht viel schonender aus. Die Verantwortung lag jedoch bei Dr. Stolz, und somit war es sein Risiko.
Von der Leiche im Innern sah man nur Kopf und Schultern, ein Büschel grau melierter Haare und die Aufschläge eines marineblauen Anzugs. Stolz und Bonzado griffen, mit Latexhandschuhen geschützt, ins Fassinnere und packten irgendetwas Festes, in der Hoffnung, dass es weder riss noch knackte oder brach. Am anderen Ende hielten zwei von Henrys Deputys ein Seil, das um die geborstene Fassmitte geschlungen war. Das Unternehmen sah wie ein makaberes Tauziehen aus.
Henry reichte Maggie O’Dell eine kleine Dose Wick Vaporub. Der Gestank würde schlimmer werden, sobald sie das unglückliche Opfer herausgezogen hatten. Doch die Agentin lehnte mit höflichem „Nein, danke“ ab. Etwas sagte ihm, dass es keine aufgesetzte Zurschaustellung von Härte war. Offenbar brauchte sie dieses Hilfsmittel wirklich nicht. Sie war an den Geruch des Todes gewöhnt, obwohl sich wohl niemand wirklich an diesen säuerlich stechenden Gestank gewöhnen konnte. Menschliche Leichen rochen anders als Tierkadaver. Er verabscheute den Gestank, hatte sich nie daran gewöhnt und würde es auch nicht wollen. Trotzdem ließ er das Döschen Wick in die Tasche gleiten, ohne es selbst zu benutzen. Bonzado und Stolz würde er ohnehin nicht davon anbieten, und Bonzados Studenten hielten sich auffallend im Hintergrund. Offenbar auf Anweisung des Professors, der so zeigen wollte, dass sie nicht im Weg waren.
Vorsichtig begannen sie, den Leichnam herauszuziehen, und sofort war ein leises, so ekelhaft saugendes Geräusch zu vernehmen, dass Henry sich innerlich wand. Der Leichnam war frisch, das wurde eklig. Henry warf Agentin O’Dell einen Seitenblick zu. Falls er hoffte, etwas wie Widerwillen oder auch nur einen Hauch von Unbehagen zu bemerken, sah er sich getäuscht. Ihre Miene verriet Anspannung, aber keinerlei Unbehagen. O’Dell hatte vermutlich schon viel Schlimmeres gesehen.
Sie war mittelgroß, von zarter, aber athletischer Gestalt und ein bisschen zu attraktiv, um in seine Klischeevorstellung einer FBI-Agentin zu passen. Ihre Selbstsicherheit ging mit einer Aura von Selbstvertrauen einher, die ihn beruhigte. Er hatte es schon während des Telefonats bemerkt. Sie war nicht kess, sondern selbstsicher. Er hätte doch nicht im Traum daran gedacht, sie ins Vertrauen zu ziehen, wenn sie ihm mit dieser üblichen, offenbar in allen Bundesbehörden grassierenden Überheblichkeit begegnet
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