Eiskalter Wahnsinn
oder herablassend zu belehren, wie das bei Dr. Stolz der Fall gewesen wäre.
„Soweit ich das sehe“, fuhr O’Dell fort, „ist der Schädel leer.“
„Eine Stryker-Säge? Und leer? Wovon zum Teufel reden Sie da? Soll das heißen, das Gehirn fehlt?“ Dr. Stolz sprang regelrecht auf und landete mit einem merkwürdigen Hopser auf O’Dells Seite der Leiche.
Beinah hätte Henry über den kleinen Mann gelacht, weil der nur selten lebhaft wurde und sich praktisch keine Gefühlsregung gestattete. Gewöhnlich beschränkte Stolz sich auf sein berüchtigtes Mienenspiel. Henry ermahnte sich, seine Aufmerksamkeit nicht allein Stolz zu widmen. Dessen Inkompetenz und wachsende Panik zu sehen war jedoch wesentlich angenehmer, als sich die eigene einzugestehen. Dieser Fall wurde mit jeder Minute merkwürdiger und bedrohlicher.
„Wenn Sie genügend Bilder gemacht haben, sollten wir den Toten umdrehen und ganz auf den Leichensack legen“, ordnete Dr. Stolz an.
Henry trat zurück. Auch wenn er es nur ungern zugab, begann es ihm Spaß zu machen, wie nervös der kleine Mann wurde. Außerdem hatte Stolz von Bonzado und zweien seiner Studenten, die zulangten, genügend Hilfe. Sogar O’Dell hatte sich die Jackenärmel hochgeschoben und ergriff eine Schulter. Diesmal ging die Gruppe kein Risiko ein, und der Leichnam entglitt ihnen nicht. Sie hatten den Körper soeben umgedreht, als Henry erschrak.
„Allmächtiger!“ stieß er hervor. Alle blickten ihn an, dann wieder auf den Toten, als könnten sie so feststellen, was ihn erschreckte. „Das ist Steve Earlman.“
„Sie kennen den Mann?“ fragte O’Dell.
Henry lehnte sich an den nächsten Felsblock, ehe ihm die Knie weich wurden. „Ich kannte ihn nicht nur. Ich war auch einer der Sargträger auf seiner Beerdigung.“
20. KAPITEL
Maggie sah jetzt die Klammern und Nadeln, die Mr. Earlmans Sakkoaufschläge in Form hielten. Sie hob ein Augenlid und entdeckte eine kleine konvexe Plastikscheibe in einer Augenhöhle. Bestatter benutzten so etwas, um den Augenbereich zu betonen und die Lider geschlossen zu halten.
„Das sieht wie der Einschnitt von einer Obduktion aus“, sagte Dr. Stolz von der anderen Seite der Leiche, nahm seine Brille ab und steckte sie ein.
„Das kann nicht sein“, erwiderte Watermeier. „Es gab keine Obduktion.“
„Sind Sie sicher?“ Maggie war wieder aufgestanden und inspizierte den Körper, während der Gerichtsmediziner das herabhängende Schädelstück begutachtete. Der Anzug war auffallend sauber, als wäre der Tote vom Sarg direkt in das versiegelte Fass befördert worden. „Das sieht zweifellos nach einer Stryker-Säge aus.
„Auf jeden Fall nach einer Knochensäge“, beharrte Dr. Stolz.
„Ich weiß mit Sicherheit, dass es keine Obduktion gab“, betonte der Sheriff.
„Wie ist es mit einer Operation?“ Bonzado hockte auf Händen und Knien neben Dr. Stolz und blickte nun ebenfalls von oben in den Schädel des Toten.
„Keine Operation“, erwiderte der Sheriff. „Steve starb an einem inoperablen Hirntumor.“
Maggie blickte zu Watermeier, um sich zu vergewissern, dass er okay war. Sie wusste nur zu gut, wie man sich fühlte, wenn man in einem Opfer einen Freund erkannte. Vor fast einem Jahr hatte sie beim Öffnen eines Leichensacks in das Gesicht eines Freundes mit einem Einschussloch in der Stirn geblickt. Niemals würde sie den Anblick der leeren Augen von Spezialagent Richard Delaney vergessen. Noch so viele Schulungen und noch so viel Erfahrung konnten einen nicht auf den Schock, die Hilflosigkeit und das elende Gefühl in der Magengegend vorbereiten.
Sheriff Watermeier nahm den Hut ab und wischte sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn, obwohl Maggie bereits eine deutliche Kühle in der Luft spürte, da die Sonne hinter dem bewaldeten Felskamm zu sinken begann. Watermeier setzte den Hut wieder auf und schob ihn sich in den Nacken. Maggie blickte suchend zur Ausrüstung der Kriminaltechniker, die sorgfältig und sicher auf einem Felsblock verstaut war. Schließlich entdeckte sie eine rotweiße Wasserflasche, nahm sie und wartete zu Carl blickend auf sein zustimmendes Nicken.
Danach schraubte sie die Kappe ab, trank langsam einen Schluck und reichte die Flasche wie beiläufig an den Sheriff weiter. Um ihn nicht in Verlegenheit zu bringen, machte sie eine selbstverständliche Geste daraus, als ließe sie die Flasche reihum gehen. Er zögerte nicht, trank einen großzügigen Schluck und reichte die Flasche
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