Eiskalter Wahnsinn
Sie heißt Julia“, bestätigte er und sah sie an, was ihm irgendwie Mühe bereitete. Maggie erkannte, dass Julia die gleichen blauen Augen hatte wie er. Er kratzte sich unter seinem schwarzen Barett am Kopf. „Das ist richtig. Detective Julia Racine von der … von der Polizei von D. C. Ja, Ma’am. Das ist meine Tochter Jules.“
23. KAPITEL
Luc Racine hantierte mit dem Schlüsselbund, den er in seiner Tasche gefunden hatte. Scrapple wartete ungeduldig und starrte die Tür an, als ginge sie dadurch schneller auf. Luc merkte, dass sein Terrier sauer auf ihn war, denn Scrapple hatte sich ihm mehrfach entzogen, als er ihn streicheln wollte.
„Ich kann nicht zulassen, dass du Leute auffrisst“, erklärte er dem Hund zum dritten Mal. „Auch nicht, wenn sie schon tot sind.“
Doch Scrapple ignorierte ihn. Kein Zucken oder Aufrichten der Ohren, kein Anzeichen, dass er ihm zuhörte. Er starrte nur stur auf die Tür.
Luc nahm sich vor, es an seinem Hund wieder gutzumachen. Sicher war noch etwas anderes im Kühlschrank als saure Milch. Er sah noch einmal die Schlüssel durch und versuchte sich angestrengt zu erinnern, welcher der Richtige war. Er hatte den Hausschlüssel immer automatisch und ohne nachzudenken herausgefunden. Doch in letzter Zeit erforderte es seine ganzen deduktiven Fähigkeiten, oder was davon noch übrig war.
Blitzartig erinnerte er sich, drehte den Türknauf und lächelte, als der leicht nachgab. Seit einiger Zeit schloss er die Tür nicht mehr ab, aus Sorge, er könnte mal vergessen, die Schlüssel mitzunehmen und sich dann aussperren. Vor Erleichterung, dass er es geschafft hatte, begann er zu frösteln. Diese Reaktionskette wurde allmählich typisch: zuerst Überraschung und Enttäuschung, dann Erleichterung, weil der Verstand noch mitmachte.
Der langsame Gedächtnisverlust wäre nur halb so schlimm, wenn ihm der Vorgang nicht bewusst wäre. Sich mit Schuhbändern abzumühen, erfolglos sinnlose Knoten zu schlingen und die ganze Zeit zu wissen, dass man das Binden der Schuhe einmal automatisch und ohne einen Gedanken daran zu verschwenden beherrscht hatte, war entsetzlich. Wie schwierig konnte es sein, sich die Schuhe zu binden? Es war leicht genug für Fünfjährige. Richtig. Deshalb war Luc dazu übergegangen, Slipper zu tragen.
Doch Jules’ Namen zu vergessen war unverzeihlich. Wie konnte er nur? Was Julia dazu gesagt hätte, konnte er sich lebhaft vorstellen: „Den Namen deines Köters vergisst du nie, aber du kannst dich nicht erinnern, wie deine Tochter heißt.“
Im Haus war es kühl. Fast so, als hätte er ein Fenster offen gelassen. Der Sommer war eindeutig vorüber. Um das zu erkennen, brauchte er nicht das flammende Rot der Eichenblätter zu sehen, er spürte es an der abendlichen Kühle und hörte es am Zirpen der Grillen.
Mitten im Wohnraum blieb er stehen und sah sich langsam um. Etwas stimmte hier nicht. Aber nicht, weil er wieder verwirrt gewesen wäre wie gestern Abend. Irgendetwas war nicht so wie sonst. Er fröstelte und spürte, wie sich ihm die Nackenhaare sträubten.
Dieses Unbehagen hatte ihn schon auf dem Rückweg vom Steinbruch befallen. Er war dem Lehmpfad gefolgt und hatte zu Boden geblickt, um nicht über die vom Gras verborgenen Felsbrocken zu stolpern. Auf dem gesamten Heimweg hatte er das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden. Nicht von Watermeier oder den anderen, die ihm nachgesehen hatten, als er ging. Nein, er hatte das Gefühl gehabt, jemand beobachte ihn unablässig im Sinne einer Verfolgung.
Hinter ihm hatten Aste geknackt. Er hätte sich noch einreden können, dass es Einbildung war, aber Scrapple hatte es auch gehört und war nach kurzem Knurren mit zurückgelegten Ohren nach Hause geeilt. Er hatte kaum auf ihn warten wollen und nur deshalb das Tempo verlangsamt, weil er sich als Winzling Schutz von seinem Menschen erwartete. Moment mal, an dem Verhalten stimmte doch etwas nicht. Sollten Hunde nicht instinktiv die Beschützer ihres Menschen sein?
Luc sah sich im Wohnraum nach Anhaltspunkten um, dass tatsächlich jemand hier war. Prüfend blickte er aus dem Fenster, ob sich jemand zwischen den Bäumen verbarg. Seine einzige Beruhigung war, dass Scrapple sich bereits zufrieden auf seinem Lieblingsläufer ausgestreckt hatte.
Trotzdem eilte Luc zur Haustür, schob den Riegelvor und vergewisserte sich, dass auch der Riegel an der Küchentür vorgelegt war. Vielleicht war doch nur alles Einbildung gewesen. Obwohl er sich nicht erinnern konnte,
Weitere Kostenlose Bücher