Eiskalter Wahnsinn
und schürzte die Lippen, um zu zeigen, dass er nur mühsam zurückhielt, was er am liebsten erwidert hätte. Dann begann er die Wunde auf der Brust der Toten mit einem Schwamm zu säubern und das Blut abzuwischen. „Wenn der Täter sofort nach der Tötung damit begonnen hat, ihr die Brust aufzuschneiden, wäre auch eine Wagenladung voll Blut ausgetreten. Besonders hier in dem Bereich, wo ein paar große Gefäße verlaufen. Und er hat tief geschnitten. Vielleicht hat er sogar das Herz getroffen.“
„Warten Sie eine Minute. Tiefe Wunden, das klingt für mich nach tödlichen Wunden“, sagte Sheriff Watermeier und handelte sich einen finsteren Blick von Dr. Stolz ein.
„Es handelt sich nicht um Stichwunden.“ Der Gerichtsmediziner hob die Haut ab, die er soeben gesäubert hatte. „Sie wurde aufgeschnitten. Technisch wurde das allerdings nicht besonders sauber ausgeführt, nicht so präzise und genau wie bei Mr. Earlman.“
„Was hat er entfernt?“ fragte Watermeier und kam damit Maggie zuvor.
„Ich zeig’s Ihnen.“ Dr. Stolz öffnete die Wunde mit einer Hand, mit der anderen nahm er die Dusche seitlich vom Edelstahltisch und sprühte die Höhlung aus. „Zuerst habe ich gedacht, er hätte Herz oder Lunge genommen. Sie wissen schon, die Organe, die von Verrückten am liebsten entnommen werden. Aber so etwas wie das hier habe ich noch nicht erlebt.“
Nachdem die Wunde ausgewaschen war, drückte Stolz die aufgeschnittene Haut beiseite und trat zurück, damit der Sheriff und Maggie besser sehen konnten.
Watermeier sah hin und kratzte sich beim Anblick des vernarbten Gewebes verwirrt am Kopf. Maggie hingegen wusste sofort Bescheid. Ohne das Foto zurate zu ziehen, das Gwen ihr mitgegeben hatte, wusste sie, dass diese Frau nicht Joan Begley war.
„Ich verstehe nicht.“ Watermeier blickte begriffsstutzig von Maggie zu Dr. Stolz und erkannte, dass nur er eine Erläuterung brauchte.
„Diese Frau muss Brustkrebs überlebt haben“, erklärte Dr. Stolz. „Der Mörder hat ihr die Brustimplantate entfernt.“
Maggie hatte sich bereits zurechtgelegt, was sie Gwen sagen würde, falls diese Tote ihre ehemalige Patientin gewesen wäre. Eigentlich hätte sie jetzt erleichtert sein sollen. Stattdessen spürte sie eine wachsende Beklommenheit. Wenn Joan Begley nicht tot war, wo steckte sie dann?
26. KAPITEL
Joan Begley erwachte vom Gurren der Tauben. Jedenfalls klang es für ihr benebeltes Hirn danach. Ihre Wimpern fühlten sich verklebt an, wie von Spinnweben festgehalten. Ihr Mund war vollkommen trocken. Doch das Gurren erinnerte sie an das Aufwachen an Sommermorgen auf der Milchfarm ihrer Großmutter in Wallingford, Connecticut. Ein entferntes Summen ließ sie immer wieder in Schlummer abgleiten. Die Brise über ihrem Kopf fühlte sich frisch an und roch nach taufrischem Gras. Offenbar kam die Luft von den Wiesen hereingeweht. Mit der Brise und dem Gurren überkam sie ein Gefühl tiefer Zufriedenheit.
Ein Klicken weckte sie ruckartig auf. Danach folgte das Brummen eines anspringenden Motors. Joan setzte sich mit schreckensweiten Augen auf und spürte, dass ihr die Arme festgehalten wurden. Der Anblick ihrer ledernen Handfesseln ängstigte sie und ließ sie in die Realität zurückkehren, besser gesagt, in ihren Albtraum.
Die Lederriemen waren mit dem Bettgestell verbunden, und einen Moment lang hoffte sie, im Krankenhaus zu sein. Hatte er sie ins Krankenhaus gebracht? Der Raum war schwach erhellt. Hinter den großen Fenstern war es jedoch dunkel. Sie schaute sich um, sah Wände aus rauem Holz und ebensolche Balken. Die Brise ihres Traumes stammte von einem Ventilator über ihrem Bett und das Summen von einer kleinen Gefriertruhe in der Ecke. Offenbar befand sie sich in einer Hütte oder einer umgebauten Scheune. So ängstlich sie war, musste sie zugeben, dass es hier freundlich, ja fast gemütlich wirkte. Und der leichte Geruch nach Desinfektionsmitteln war ausgerechnet mit Fliederduft versetzt.
Wohin in aller Welt hatte er sie nur gebracht? Und warum? Sie sah sich noch einmal um. Ihr Blick war noch verschwommen. Die Dinge auf den Regalen wirkten verzerrt, in die Länge gezogen und schienen sich zu drehen. Vielleicht hatte sie Halluzinationen. Ja, vielleicht war alles nur ein Traum, ein Albtraum.
Trotz ihrer Benommenheit versuchte sie nachzudenken. Sie musste ruhig bleiben, Panik nützte ihr nicht. Außerdem schien sie keine Energie mehr zu haben. Sie durfte sich nicht noch einmal von Panik beherrschen und
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