Eiskalter Wahnsinn
plötzlich so hart zu Agentin O’Dell war. Schließlich hatte er sie doch eingeladen, an der Ermittlung teilzunehmen, oder?
„Sie glauben, das könnte wichtig sein?“ fragte Henry schließlich, und sein Ton war fast wieder normal. Er hatte wohl gemerkt, dass O’Dell nicht so leicht zu erschüttern war.
„Wenn ein Täter etwas Ungewöhnliches benutzt, dann oft nur deshalb, weil er es zur Hand hat. Es könnte ein Hinweis sein, um ihm auf die Spur zu kommen.“
„Ein Stück Papier?“
„Manchmal sind es die einfachsten Dinge, die uns zu einem Mörder führen. Dinge, die wir sonst für unbedeutend halten. Der Serienkiller John Joubert benutzte ein sonderbares Stück Seil aus ungewöhnlichen Fasern. Ich glaube, es wurde in Korea gefertigt. Jedenfalls war es nichts, was man einfach so im Haus hat. Er benutzte es, um seine jungen Opfer zu verschnüren. Bei Jouberts Festnahme fand man mehr von diesem Seil im Kofferraum seines Wagens. Er brauchte dieses Seil als Scoutmaster, hatte genügend davon zur Verfügung und kam nicht auf die Idee, dass es ihn als Täter überführen würde. Was immer das für ein weißes Papier sein mag, ich vermute, dass es dem Täter problemlos zur Verfügung steht.“
„Okay.“ Der Sheriff klang nicht überzeugt. „Aber wozu benutzt er es?“
„Ich müsste noch mehr von den Opfern sehen, aber meine augenblickliche Vermutung ist…“ Maggie zögerte und sah sich um, als überlege sie, ob sie den anderen ihre Gedanken mitteilen sollte. „Meine vorläufige Annahme ist, dass er es benutzt, um etwas darin einzuwickeln.“
„Etwas einzuwickeln!“ wiederholte Henry ungeduldig.
„Ja, zum Beispiel Mr. Earlmans Hirn.“
22. KAPITEL
Maggie nahm die Cola, die Sheriff Watermeier ihr anbot. Eigentlich bevorzugte sie Diät-Cola, doch sie erkannte die Geste als Friedensangebot an. Während die anderen ihren Lunch beendeten, setzte Watermeier sich zu ihr auf einen Felsblock.
„Wenn wir heute Nachmittag fertig sind, muss ich mir eine Minute Zeit nehmen und diesen Medienhaien einen Knochen hinwerfen.“ Er lächelte über seinen Scherz. „Danach macht Dr. Stolz, wie er sagt, die Obduktion an der Frau, die wir gestern gefunden haben. Passt das in Ihren Zeitplan?“
„Ja, natürlich.“
Er blieb ruhig neben ihr sitzen, und sie fragte sich, ob er ihr noch etwas mitteilen und sie noch einmal ins Vertrauen ziehen wollte.
„Es ist schön hier, nicht wahr?“
Sie warf ihm einen erstaunten Seitenblick zu. Diese Bemerkung hatte sie von dem raubeinigen, harten New Yorker Excop und jetzigen County-Sheriff nun gar nicht erwartet.
Maggie ließ genau wie er den Blick schweifen und nahm die Gegend zum ersten Mal bewusst wahr. Die Ruhe ringsum war auffällig. Die Blätter der Bäume strahlten in kräftigem Orange und Gelb, und flammendrote Weinranken umgaben die Stämme. Der Himmel war so blau, dass es künstlich wirkte. Sogar das hohe Gras war mit winzigen gelben Blumen getupft.
„Ja“, bestätigte sie nach einem Moment, „es ist wunderschön.“
„Sind alle so weit?“ Watermeier zerstörte den Augenblick der Entspannung und stand so abrupt auf, als müsste er sich unverzüglich wieder ihrer Aufgabe zuwenden.
Sie gingen zum Rest der Gruppe, die inzwischen unter Leitung von Adam Bonzado und seinen Studenten ein weiteres angeknackstes Fass heruntergeholt hatte. Diesmal zog Maggie sich die Jacke über die Nase, so überwältigend war der Gestank. Dabei hatten sie gerade erst mit dem Stemmeisen das Siegel aufgebrochen. Bonzado strengte sich mächtig an, dennoch gab der Deckel nur Stück für Stück quietschend nach, was Maggie an das Offnen einer vakuumversiegelten Dose Kaffee erinnerte.
„Mann, oh Mann, die hier ist aber reif“, sagte der Professor bei einer kurzen Unterbrechung seiner Tätigkeit. Das Stemmeisen in einer Hand, nahm er mit der anderen seinen Hemdzipfel und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Für einen kurzen Moment waren seine brettharten Bauchmuskeln zu sehen. Maggie wandte den Blick ab und bemerkte, dass sie zum zweiten Mal innerhalb einer Stunde Notiz von seinem Körperbau genommen hatte.
Die anderen warteten nur ab. Niemand bot dem armen Professor an, ihn bei seiner Aufgabe zu entlasten. Auch seine drei Studenten nicht. Der ältere – Simon hatte Bonzado ihn genannt – stand ruhig, fast steif abseits mit einer Kelle in der einen und der Kamera in der anderen Hand. Jedoch fotografierte er kein einziges Mal. Auf Maggie wirkte er verblüfft, erschüttert und
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