Eiskalter Wahnsinn
erschöpfen lassen. Gestern Abend – oder war es schon einige Tage her, wie sollte sie das wissen? – hatte er ihr Drogen gegeben. Er hatte sie in seinem freundlichen Ton gebeten, ein Fläschchen irgendeiner Mixtur zu trinken.
„Es tut nicht weh“, hatte er mit dieser Jungenstimme versprochen, die sie mal so reizend gefunden hatte. „Es schmeckt wie Hustensirup.“
Auf ihre Weigerung hin hatte er sie einfach in den Schwitzkasten genommen. Sie war nur noch verblüfft gewesen von seiner Kraft – und seinem Wahnsinn. Er hatte ihr das Gebräu zwangsweise eingeflößt, obwohl sie sich schlagend und kratzend mit Treten, Husten und Würgen gewehrt hatte. Sonny war eindeutig wahnsinnig gewesen, völlig außer Kontrolle. Er hatte sich in einen Menschen verwandelt, den sie nicht kannte. Das war nicht mehr ihr Sonny.
Während sie darüber nachdachte, begann sie zu weinen. Warum hatte er das gemacht? Warum hatte er sie hierher gebracht? Was hatte er mit ihr vor? Würde man sie hören, wenn sie um Hilfe schrie?
Sie sah sich um, und ihr Blick fiel auf die Tür. Die war zweifellos verriegelt, Flucht somit ausgeschlossen, auch wenn sie sich ihrer Fesseln entledigen könnte. Erst jetzt merkte sie, dass sie auch an den Füßen Fesseln trug, die sie mit dem Bettgestell verbanden. Sie waren spürbar, jedoch nicht sichtbar.
Nur keine Panik! Sie musste mit Sonny reden. Ja, sie würde versuchen, vernünftig mit ihm zu reden.
Wo steckte er? Hatte er sie verlassen? Was hatte er bloß mit ihr vor? Bisher war es zu keinen sexuellen Übergriffen gekommen. Aber wenn es ihm nicht um Sex ging, worum dann?
Auf der Suche nach Antworten inspizierte sie den Raum erneut mit dem Blick. Die Regale standen voller Behältnisse in unterschiedlichen Größen. Tontöpfe mit verschließbaren Metalldeckeln, Plastikbehälter, Flaschen und Glasbehälter für eine Gallone Inhalt. In dem beleuchteten Aquarium neben ihrem Bett schwammen Quallen an der Wasseroberfläche. Auf der anderen Seite des Tisches standen Schüsseln, in denen Muschelstücke zu liegen schienen.
An den Wänden hingen Bilder. Schwarz-Weiß-Fotos von einem Jungen mit seinen Eltern. Ob der Junge Sonny war, konnte sie nicht erkennen.
Das hier war eindeutig jemandes Arbeitsplatz oder Hobbyraum. Also kein Grund, Angst zu haben, versuchte sie sich einzureden. Sie konnte mit Sonny sprechen und herausfinden, was er von ihr wollte.
Getröstet legte sie sich wieder hin und fühlte sich etwas besser. Die Kissen waren sehr weich. Er hatte sich Mühe gegeben, es ihr bequem zu machen, trotz der zwangsweisen Verabreichung von Drogen, die sie jedoch nur schläfrig gemacht hatten. Sie spürte weder Kopfschmerzen noch einen Kater. Ihr blieb nur abzuwarten. Bestimmt kam Sonny bald, und dann konnten sie miteinander reden. Sie entspannte sich, bis sie das Regal über ihrem Kopf entdeckte.
Sie richtete sich kerzengerade auf, riss an den Fesseln, drehte sich, um besser sehen zu können, und zwang sich trotz Panik und Fluchtreflex, genau hinzuschauen. Auf dem Regal über ihr lagen drei Schädel, die sie aus leeren Augenhöhlen anstarrten.
Allmächtiger! Wo war sie hier bloß?
Sie versuchte zu erkennen, was sich in den Gefäßen auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes befand. Sie waren jedoch zu weit entfernt, um etwas anderes als unbestimmte Massen auszumachen. Beim Betrachten der transparenten Quallen im Aquarium neben dem Bett fiel ihr etwas auf. Sie wurden von der Hintergrundbeleuchtung angestrahlt und schwammen oben. Ansonsten war das Aquarium jedoch leer. Keine Felsenattrappe, kein Meeresboden, keine grüne Bepflanzung. Sie rückte etwas näher heran, um besser sehen zu können. Trieben Quallen immer so oben wie hier?
Im Licht erkannte sie plötzlich, dass beide Quallen an der Oberfläche eine eingeprägte Zahl trugen. Eine Zahlenreihe, wie eine Serien- oder Identifikationsnummer.
„Oh mein Gott!“ Plötzlich erkannte sie, was sie da vor sich hatte. Ähnliches hatte sie bei ihrem Besuch beim plastischen Chirurgen gesehen. Das waren keineswegs Quallen, das waren Brustimplantate!
27. KAPITEL
Dr. Stolz bemühte sich nicht, sein Missfallen zu verbergen. Maggie sah den finsteren Blick, den er Sheriff Watermeier zuwarf – bereits der dritte oder vierte heute, sie hatte aufgehört zu zählen –, als Watermeier erklärte, er müsse jetzt gehen, aber sie könne gerne bleiben. Sie erwartete fast, dass Stolz sie hinauskomplimentierte. Doch wie hätte er das tun können? Stattdessen grummelte er
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