Eiskalter Wahnsinn
nur etwas über missliebige Außenstehende in seinen Mundschutz. Maggie hatte den Eindruck, dass er nicht nur sie damit meinte, sondern auch Watermeier.
Sie war nicht sicher, warum sie blieb. Eigentlich war sie nur hier, um Joan Begley zu identifizieren. Vielleicht hoffte sie durch dieses weibliche Opfer auf Hinweise, wo sie mit der Suche nach Gwens vermisster Patientin beginnen sollte.
Neben dem Stahltisch stehend sah sie Dr. Stolz bei der Arbeit zu, die Hände unter dem Kittel in den Taschen. Es war anstrengend, sich daran zu hindern, helfend einzugreifen, was sie sonst teils aus Instinkt und teils aus ärgerlicher Angewohnheit tat. Sie hatte bereits einmal unbewusst nach einer Pinzette gegriffen, die Hand jedoch zurückgenommen, ehe Dr. Stolz etwas merken konnte.
Er arbeitete langsam. Langsam, aber nicht notwendigerweise sorgfältig. Eigentlich waren seine Bewegungen ein wenig nachlässig. Er machte hier und dort einen Schnitt um die Körperhöhle herum und erinnerte Maggie an einen Angler, der alle Leinen und Anhängsel vom Fisch entfernte, ehe er ihn mit einem raschen Schnitt ausweidete.
Stolz ließ nicht die übliche, ihr vertraute Ehrfurcht walten, mit der Rechtsmediziner gewöhnlich die Opfer behandelten. Vielleicht zog er aber auch nur ihretwegen eine Schau ab. Zunächst hatte sie befürchtet, er benutze das weniger übliche Rokitansky-Verfahren, bei dem alle Organe auf einmal herausgenommen werden – die Eingeweide sozusagen als einziger Block –, anstatt der Virchow-Methode, nach der alle Organe einzeln entnommen und begutachtet werden.
Sie sah ihn mit angewinkeltem Ellbogen schneiden, wobei die Hand in einer sonderbaren, fast sägenden Bewegung vor und zurück glitt. Erleichtert sah sie dann die Latex geschützte Hand in die Körperhöhle langen und die Lunge herausheben. Zuerst nur einen Flügel, den rechten. Er warf ihn auf die Waagschale und rief über das Instrumententablett zum Rekorder auf dem Tresen: „Rechter Lungenflügel, 680 Gramm.“ Er gab ihn in einen Behälter mit Formalin und nahm den linken Flügel heraus. „Linker Lungenflügel 510 Gramm. Farbe beider Flügel rosa.“
Maggie wollte widersprechen und darauf hinweisen, dass der linke Lungenflügel nicht ganz so rosa war wie der rechte, unterließ es jedoch. Die Auffälligkeit war nicht ausgeprägt genug, um von Belang zu sein. Anzeichen äußerer Einwirkung fehlten jedenfalls. Als der Killer den Körper aufgeschnitten hatte, um die Implantate zu entfernen, war die Lunge nicht beschädigt worden. Und es war auch keine so auffällige Verfärbung wie eine Schwärzung, die auf einen Raucher hätte schließen lassen. Das dunklere Rosa des linken Lungenflügels konnte schlicht ein Hinweis darauf sein, dass die Frau einen Großteil ihres Lebens in der Stadt verbracht hatte.
Dr. Stolz nahm eine Spritze und eine Nadel vom Tablett, begutachtete beides und tauschte sie gegen eine größere Nadel aus.
Maggie fragte sich, wie oft der stellvertretende Rechtsmediziner Obduktionen durchführte. Warum war ausgerechnet er hier und nicht sein Chef?
Vielleicht spürte er ihre Zweifel an seiner Kompetenz, denn er kam voller Autorität auf ihre Seite und stellte sich zwischen sie und den Tisch, als hätte er von hier einen besseren Blick auf das Herz.
Er stach die Nadel ein und zog mit der Spritze Blut ab. Das Herz zeigte eindeutige Verletzungsspuren. Neben dem Punkt, an dem Stolz die Blutprobe entnahm, konnte Maggie einen deutlichen Schnitt erkennen.
Zufrieden mit seinem Werk stapfte Stolz wieder um den Tisch herum auf seine vorherige Position. Er etikettierte die Spritze und legte sie beiseite, traf jedoch keinerlei Anstalten, das Herz zu entfernen. Stattdessen wandte er sich dem Magen zu.
Maggie verbarg ihre Ungeduld und akzeptierte, dass er eben seine ganz eigene Vorgehensweise hatte.
Bei allen unglaublichen und geheimnisvollen Vorgängen im Körper erschien Maggie der Magen immer als eines der wunderlichsten Organe. Ein kleiner, sackartiger rosa Beutel, bei dem meist eine sachte Berührung mit dem Skalpell reichte, um ihn zu öffnen. Obwohl Dr. Stolz sich eher aufführte wie der Elefant im Porzellanladen, ging er an dieses Organ mit verblüffender Umsicht heran. Er legte den Magen auf ein eigenes kleines Stahltablett, schnitt ihn sorgfältig auf und klappte die Wände mit den Fingern auseinander. Plötzlich kehrte er jedoch zu seiner robusten Arbeitsweise zurück, schnappte sich einen Stahllöffel und entleerte damit den Mageninhalt auf
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