Eiskalter Wahnsinn
zu verlieren? Vermutlich färbte O’Dells mangelnde Bereitschaft, sich an Regeln zu halten, auf ihn ab. Es konnte nur an ihrem schlechten Einfluss liegen, dass er von seiner üblichen Vorgehensweise abweichen wollte.
Er rollte mit dem Stuhl wieder näher an den Tisch. Seine Finger verharrten kurz über der Tastatur. Ach, was soll’s, dachte er und klickte auf ANTWORT. Joan Begleys Maske für Antwortschreiben erschien. Ehe er es sich anders überlegen konnte, tippte er seine Botschaft ein und klickte auf SENDEN. Und was, wenn Sonny Boy Joan Begley gefesselt und geknebelt bei sich hatte? Was, wenn er sie bereits umgebracht hatte? Er würde sich wohl ziemlich wundern, eine E-Mail von ihr zu erhalten, auch wenn die nur aus einem Wort bestand.
„WARUM?“
43. KAPITEL
Maggie verließ Bonzados Labor. Der Tag war wieder warm geworden, doch mit sinkender Sonne lag eine deutliche Schärfe in der Luft. Sie ging über den Campus und versuchte, die Anblicke und Gerüche des Herbstes zu genießen, obwohl ihre Gedanken immer wieder zu den von Bonzado gewonnenen Erkenntnissen abschweiften. Sie holte ihr Handy heraus und sah noch einmal prüfend in ihr Notizbuch, welche Richtung sie nehmen musste. Das Gebäude müsste ganz in der Nähe sein. Sie drückte eine Nummer ein und blickte sich suchend um. Vielleicht lag das Haus genau auf der anderen Seite des Campus.
„Dr. Gwen Patterson.“
„Gwen, hier ist Maggie. Eine kurze Frage. Hat Joan irgendein Leiden, ein körperliches Handicap zum Beispiel?“
„Ein Gebrechen? Keineswegs. Warum?“
„Ich versuche immer noch herauszufinden, ob es eine Verbindung zwischen ihrem Verschwinden und dem Täter vom Steinbruch gibt.“
„Aber du hast doch gesagt, Joans Beschreibung passe auf keines der Opfer.“
„Okay, kein Grund zur Sorge“, erwiderte sie, als sie den panischen Unterton in der Stimme ihrer Freundin hörte. „Ich frage mich nur, ob es möglich ist, dass er sie entführt hat. Sei bitte ehrlich zu mir, Gwen. Es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für Geheimniskrämerei.“
„Geheimniskrämerei? Du glaubst, ich wüsste Geheimnisse von ihr?“
„Vielleicht nicht gerade Geheimnisse. Aber hat sie dir mal etwas unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut?“
„Ich habe dir alles erzählt, was nützen könnte, sie zu finden.“
„Bist du sicher?“
„Worum geht es, Maggie?“
„Der Killer vom Steinbruch hat seinen Opfern … Körperteile entfernt. Defekte. Deformierungen.“
„Zum Beispiel?“
„Bei einer Frau fehlten die Brustimplantate. Bei einem anderen Opfer fehlt offenbar ein verkrüppelter Beinknochen. Bei einem Mann wurde das Gehirn samt einem inoperablen Tumor entfernt. Aber wenn Joan weder Behinderungen noch Krankheiten hatte, müssen wir uns wohl keine Sorgen machen, dass unser Täter sie entführt hat.“
Sie zog den Umschlag aus dem Notizbuch, nestelte die eingesteckte Karte heraus und las die Adresse. Wieso konnte sie das Gebäude nicht finden? Gwen hatte immer noch nicht geantwortet.
„Gwen?“
„Vielleicht gibt es da doch etwas, Maggie. Joan hat in den letzten beiden Jahren sehr viel Gewicht verloren. Wenn sie darüber spricht, erzählt sie den Leuten immer, ihr Gewichtsproblem hätte mit einem Hormonmangel zu tun gehabt.“
„Was soll das heißen, Hormonmangel? Meinst du ein Schilddrüsenproblem?“
„Ja.“
„Okay, dann ist es Zeit, sich Sorgen zu machen. Sobald ich wieder in Meriden bin, informiere ich Sheriff Watermeier.“
„Wo bist du jetzt?“
„Ich bin gerade in einer persönlichen Angelegenheit unterwegs.“
„Du willst ihn endlich besuchen?“
„Nein, ich bin nicht in Boston. Ich will nicht zu Nick Morrelli. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn je wiedersehen werde.“
„Ich sprach nicht von Boston. Ich meine New Haven.
Maggie wäre fast über die Gehwegkante gestolpert. Sie hatte Gwen nie von ihrem Bruder erzählt. „Woher weißt du von ihm?“
„Deine Mutter hat mich im letzten Dezember um Rat gefragt, ehe sie dir seinen Namen und seine Adresse gab.“
„Du hast es die ganze Zeit gewusst? Warum hast du nichts gesagt?“
„Ich habe darauf gewartet, dass du mir etwas sagst, Maggie. Warum hast du geschwiegen?“
„Ich glaube, ich habe gewartet.“
„Worauf?“
„Auf Mut.“
„Mut? Das verstehe, wer will. Du bist einer der mutigsten Menschen, die ich kenne, Margaret O’Dell.“
„Wir werden sehen, wie mutig ich bin. Ich melde mich später nochmal, okay?“
Sie ließ das Handy in die
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