Eiskalter Wahnsinn
und fuhr sich mit einer Hand durch das Haar. Eine Befangenheitsgeste, die ihm schon früher aufgefallen war, vor allem, wenn sie sich verletzbar fühlte. Als hätte sie zu viel preisgegeben und müsste sich erinnern, das Haar nicht so herabhängen zu lassen.
„Nein, das klingt nicht albern. Ich weiß nur nicht, warum Sie sich verantwortlich fühlen. Sie konnten doch nicht ahnen, dass Joan Begley in Connecticut diesem Killer begegnen würde.“
„Aber ich hätte in der Nacht, in der sie anrief, erreichbar sein müssen. Wenn ich zurückgerufen hätte … sie hat mich gebraucht, und ich war nicht da.“
„Und was hätte sich geändert, wenn Sie da gewesen wären?“ Er ging auf sie zu und lehnte sich gegen den Tresen. „Das hätte vielleicht gar nichts gebracht.“
Sie drehte sich um, und er entdeckte erstaunt Tränen in ihren Augen. „Sie hat mich um Hilfe gebeten, ich sollte ihr das Rendezvous ausreden.“ Sie wischte sich die Augen mit gesenktem Blick, um ihre Verlegenheit zu verbergen.
„Sie vergessen etwas, Doc.“
„Und zwar?“
„Es war Joans Entscheidung, zu diesem Rendezvous zu fahren. Dafür sind Sie nicht verantwortlich. Hat man Ihnen das in der Psychiaterschule nicht beigebracht?“
Sie hob wieder den Blick und versuchte zu lächeln, doch es kostete zu viel Anstrengung.
„Manchmal“, fuhr er fort und missachtete die warnende innere Stimme, sich zurückzuhalten, solange es noch ging, „ist es keine schlechte Idee, sich eine Pause zu gönnen. Sie können und dürfen sich nicht für das Verhalten jedes Patienten verantwortlich fühlen.“ Er trat näher, schlang die Arme um Gwen und zog sie sacht an sich.
Er neigte den Kopf und presste ihr die Lippen auf das Haar. Da Gwen reagierte und sich enger anschmiegte, küsste er ihr den Nacken. Sie nahm den Kopf weit genug zurück, um ihr Gesicht darzubieten, und er küsste sie so innig, wie er es sich seit Boston gewünscht hatte.
Noch einmal wich sie ein wenig zurück, um ihm ins Ohr zu flüstern: „Bleib heute Nacht bei mir, Tully.“
Sein Körper hatte bereits zugestimmt, als sich sein Verstand einschaltete. Gwen fest in den Armen, die Lippen auf ihrem Nacken, flüsterte er: „Ich kann nicht. Du ahnst nicht, wie sehr ich es mir wünsche, aber es geht nicht.“
Sie stieß sich von ihm ab, gekränkt durch die Zurückweisung. „Natürlich“, erwiderte sie nüchtern, professionell, um ihre Scham zu überspielen. „Tut mir Leid, ich hätte nicht…“
„Nein, du verstehst mich falsch.“
„Ich verstehe sehr gut.“ Sie wandte sich wieder dem Herd zu und rührte die Marinara Sauce um. „Ich wollte nicht aufdringlich sein.“
„Wenn hier jemand aufdringlich war, dann ich.“
„Das spielt keine Rolle. Ich hätte dir nicht vorschlagen dürfen …“
„Gwen, hör auf damit! Ich kann wegen Emma nicht bleiben.“
Sie sah ihn wieder an und erkannte augenscheinlich ihren Irrtum. Mit dem Verstehen seiner Beweggründe verflüchtigte sich auch das Gefühl, eine Abfuhr erhalten zu haben.
„Andernfalls … na ja, andernfalls stünden wir jetzt garantiert nicht mehr hier und würden diskutieren.“
„Vielleicht wäre es ganz gut, darüber zu diskutieren.“
„Nein, absolut nein!“ widersprach er entschieden und brachte sie mit erhobener Hand zum Schweigen. „Und deshalb sollte ich jetzt auch sofort gehen. Ich möchte uns nicht die Chance geben, alles zu zerreden, und uns etwas auszureden, ehe es etwas zum Ausreden gibt.“ Er begann seine Tasche zu packen, ohne Gwen anzusehen.
Sobald er fertig war, nahm er sein Jackett von der Stuhllehne, zog es über und kehrte zu Gwen an den Küchentresen zurück. „Ich mag es, Killer mit dir zu analysieren, aber ich möchte nicht, dass wir uns analysieren. Können wir nicht einfach eine Weile genießen, was da zwischen uns läuft?“
Ehe sie antworten konnte, küsste er sie noch einmal lange und innig, und als er zurückwich, fiel ihr keine Antwort mehr ein.
48. KAPITEL
Der Einkauf zu dieser späten Stunde gefiel ihm. Die Gänge von Stop N Shop waren praktisch leer. Und da er Wut im Bauch hatte, die irgendwann in Übelkeit umzuschlagen drohte, wollte er keine Aufmerksamkeit auf sich lenken, wenn er irgendwann zur Toilette rennen oder Einkaufswagen samt Laden plötzlich verlassen musste.
Wobei ihm einfiel, dass er noch etwas von diesem kalkigen Zeug kaufen musste.
Seit Verlassen der Bibliothek kribbelte es ihm im Nacken, und die Knie waren ihm weich geworden. Mehrfach hatte er sich vergewissert,
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