Eiskalter Wahnsinn
weißes Einschlagpapier, das in einer besonderen Vorrichtung mit einer Metallklinge lag, die auf leichten Druck das Papier durchtrennte, an ihrem Platz.
In der Ecke stand eine alte, zerbeulte Tiefkühltruhe, deren graue Kratzer im Email an Wunden erinnerten und das ständige tiefe Brummen an das Schnurren einer Katze. Die Truhe war auch ein Inventarstück seines Vaters. Er hatte besondere Fleischstücke darin aufbewahrt oder nach seltenen Angelausflügen Forellen oder Barsche. Nach Vaters Tod war dieses Gerät zum ersten Behältnis für ihn geworden, ehe er wusste, wie er seine Schätze konservieren musste. Die Truhe hatte sich rasch gefüllt und war inzwischen eine von mehreren. Eine weitere stand nebenan und noch eine im Haus.
Die Regale an der Rückwand hatte er hinzugefügt. Ebenso die Phiolen, Einmach- und Marmeladengläser, die Tongefäße, Glasröhren, Plastikbehälter, Aquarien und Flaschen mit weiten Öffnungen. Alles wartete makellos sauber darauf, seine Trophäen aufzunehmen und zu lagern. Sogar die preiswerten, im Laden erstandenen Gurkengläser strahlten, ohne eine Spur der aufgeklebten Etiketten.
Das obere Regal beherbergte seine eigene stolze Sammlung an Werkzeugen: schimmernde Skalpelle, X-acto-Messer und -Klingen, Pinzetten, Edelstahlsonden und Schüsseln in unterschiedlichen Formen und Größen. Das meiste hatte er bei der Arbeit mitgehen lassen, Stück für Stück, damit es niemand merkte.
Ja, er war stolz auf das, was er tat. Hier hatte er Macht. Obwohl der Geruch nach Erbrochenem ihm den Magen umdrehte, musste er sich nie übergeben. Hier schnitt er Schmerzen heraus, Abnormitäten und Gebrechen, das Recht von Menschen, sich hervorzutun, und behielt es für sich.
Seine Krankheit war während seiner gesamten Kindheit obskur geblieben. Er hatte nie auf ein verkrüppeltes Bein, einen Herzfehler oder einen wertvollen Tumor hinweisen und sagen können, seht her, das verursacht meine Leiden. Man hatte nur an ihm gezweifelt, auf Krankenhausfluren über ihn getuschelt und geraten, ihn in eine Therapie zu geben.
Hätte seine Krankheit einen Namen gehabt, wäre er nicht ausgelacht worden. Niemand hätte kichernd mit dem Finger auf ihn gezeigt, wenn er mal wieder darum bat, früher aus der Klasse gehen zu dürfen. Mit einem Krebstumor oder einem deformierten Bein wäre er nicht als lächerlicher Schwächling beschimpft oder für eine weinerliche Göre gehalten worden. Für alle wäre er nur der tapfere kleine Junge gewesen.
Dass es Menschen gab, die durch ihre Leiden Anspruch auf Mitgefühl hatten, machte ihn wütend, eifersüchtig und wahnsinnig vor Neid. Die konnten sich beklagen, so viel sie wollten, und niemand sagte ihnen, sie sollten sich zusammenreißen und die Klappe halten. Dabei erkannten sie nicht einmal, welchen Schatz sie in ihrem Leiden besaßen. Narren waren das. Allesamt.
Deshalb schnitt er sie auf und entfernte, was sie zu etwas Besonderem machte. Er schnitt die Trophäen heraus, und sobald sie sein Eigentum wurden, verliehen sie ihm Kraft und Macht.
Er musste endlich mit Joan Begley verfahren, wie er es von Anfang an vorgehabt hatte. Er musste sich nur überlegen, wie er es am besten anstellte und welches Werkzeug er benutzen sollte.
Das Kinn kratzend betrachtete er prüfend seine Auswahl. Er war sich nicht einmal sicher, welche Abnormität Joan besaß. Wo war ein Hormonmangel angesiedelt? Etwa in der Hypophyse? Die lag auf der Unterseite des Hirns. Dazu würde er Bohrer und Knochensäge gebrauchen. Oder lag es an der Schilddrüse? Dazu war nur ein simpler Schnitt durch die Kehle nötig. Außerdem könnte es eine der Nebennierendrüsen sein. Wo zum Teufel saßen die? Irgendwo über den Nieren vielleicht. Er holte das illustrierte Medizinlexikon vom oberen Regal und begann es durchzublättern.
Während er mit dem Zeigefinger einer Hand über die Inhaltsangabe fuhr, fand die nervöse andere ein Entbeinungsmesser, die gebogene Klinge scharf wie ein Rasiermesser. Plötzlich wünschte er sich, es sei die Schilddrüse. Er glaubte sogar, sich zu erinnern, dass sie von einem Schilddrüsenproblem gesprochen hatte. Ja, das wäre gut. Nachdem er immer wieder ihr Erbrochenes aufgewischt hatte, hätte er nichts dagegen, Joan Begley die Kehle durchzuschneiden.
54. KAPITEL
Donnerstag, 18. September
„Sie müssen mir kein Frühstück machen, Mr. Racine“, sagte Maggie. Doch beim Duft von Bratkartoffeln und Würstchen, die in einer Pfanne brutzelten, während Luc in einer zweiten Rühreier
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