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Eiskaltes Schweigen

Titel: Eiskaltes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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und kroch, ohne etwas zu denken, zu meiner Kiste zurück.
    Ich hatte Angst, rasende Angst.
    Durian sprach mit jemandem. Vielstimmiges Gelächter antwortete ihm. Wo mochten die vielen Menschen plötzlich herkommen?
    Hoffentlich drehte er jetzt nicht durch!
    Plötzlich brüllten draußen Stimmen, Männerstimmen, Polizistenstimmen, ein Donnerschlag, ein Luftzug, Licht, grausam blendendes Licht, Geschrei überall, anscheinend war ich wieder auf den Hintern gefallen, sah nichts, verstand nichts, fühlte mich gepackt, davongezerrt, jemand brüllte mir aus nächster Nähe etwas ins Ohr, das ich nicht verstand, dann lag ich am Boden, Gras, Schneematsch, Schüsse knallten, Asphalt, jemand lag auf mir, gab mir Deckung, wie ich endlich begriff, hielt mich nieder.
    Dann war es still.
    Für lange Sekunden war es vollkommen still.
    Schließlich rief jemand einen erleichterten Befehl, und alle erwachten zum Leben. Das Gewicht auf mir verschwand. Jemand stellte mich auf die Beine, hieb mir auf die Schulter, als wäre ich ein alter Gaul, der seine Arbeit gut gemacht hat.

37
    An die nächsten Stunden und die folgende Nacht habe ich nur lückenhafte Erinnerungen. Ich weiß noch, dass ich plötzlich in einem Krankenwagen mit fremdländisch jaulender Sirene lag, umsorgt von routinierten, gelassenen Menschen. Später fand ich mich in einem richtigen Bett wieder, einem Krankenhausbett, wurde von zwei quirligen, arabisch aussehenden Schwestern bemuttert und von einem behäbigen Arzt untersucht, dessen Namensschildchen verriet, dass er aus dem Osten stammte, Polen vielleicht, und der zum Glück ein paar Brocken kantiges Deutsch sprach. Ich hatte Kratzer, Abschürfungen, Beulen und kleinere Wunden, und der ständig grinsende Arzt war einfach nicht von seiner merkwürdigen Idee abzubringen, ich stände unter Schock.
    Man piekste mich mit Spritzen, Infusionen wurden angelegt, und irgendwann muss ich mitten in dem ganzen Durcheinander eingeschlafen sein.
    Klara Vangelis behauptete später, sie habe kurz vorbeigesehen, ich sei jedoch kaum ansprechbar gewesen, und das einzige halbwegs verständliche Wort, das sie von mir hörte, habe geklungen wie »Theresa«, worauf sich jedoch niemand einen Reim hatte machen können.
    Am nächsten Morgen ging es mir blendend. Ich hatte dreizehnStunden wie ein Stein geschlafen, wurde wieder oder immer noch umschwirrt von Personal, das kein Wort Deutsch verstand und kaum mehr Französisch sprach als ich. Das Frühstück schmeckte mir so gut wie seit Jahren nicht. Nun erfuhr ich auch endlich, wo ich mich befand: im Hôpital St. Charles in Saint Dié, einem Städtchen ungefähr im Zentrum der Vogesen. Es war Sonntag. In der Ferne läuteten Glocken.
    Am späten Vormittag besuchte mich der französische Kollege, der bei meiner Befreiung die Verantwortung getragen hatte. Commissaire Divisionnaire Vincent Schwarzwälder stammte unverkennbar aus altem Bauerngeschlecht, war ein gemütlicher, nachdenklicher Kerl und sprach zu meiner Freude recht ordentlich Deutsch.
    Meine Töchter waren bereits auf dem Weg zu mir. Michael Durian war noch am Leben, obwohl zwei Kugeln in seinem Kopf steckten. Die Ärzte hatten ihn die halbe Nacht hindurch operiert, waren jedoch nicht allzu optimistisch. Jetzt endlich erfuhr ich auch, was geschehen war in den letzten Tagen und warum man mit dem Zugriff so lange gewartet hatte.
    Sie hatten den Lieferwagen bereits drei Stunden nachdem Durian auf die beiden Kollegen geschossen hatte, entdeckt. Der erste war sofort tot gewesen, der andere hatte überlebt und den Wagen beschreiben können. Das Kennzeichen des Lieferwagens hatten sie deshalb nicht über Funk durchgegeben, weil es sich in ihren Augen um eine Lappalie handelte.
    Ich verdankte mein Leben einem Glühbirnchen im Wert von vielleicht zwanzig Cent. Einem defekten Glühbirnchen, um genau zu sein. Das linke Bremslicht des Lieferwagens hatte nicht funktioniert, und nur darauf hatten die beiden Schupos den Fahrer hinweisen wollen.
    Als Polizist bekommt man im Lauf seines Dienstlebens eine nahezu untrügliche Nase für schlechtes Gewissen. Zöllner, die scheinbar im Halbschlaf Fahrzeuge über die Grenze winken, haben dennoch einen scharfen Instinkt dafür, ob einer der Fahrer etwas zu verbergen hat. Ebenso riechen auch Polizisten, ob jemand nur die übliche Unruhe im Blick hat, die jeden Menschen befällt, wenn er sich

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