Eiskaltes Schweigen
Die Franzosen hatten ein Zimmer für die beiden organisiert, bei einer Sergeantin würden sie wohnen, solange ich in Saint Dié bleiben musste.
Aber ich wollte nicht bleiben. Ich wollte nach Hause. Schon am Nachmittag begann ich das Klinikpersonal zu nerven.
»Im Bett liegen kann ich genauso gut in Heidelberg«, erklärte ich dem Polen von gestern. »Was soll ich noch hier?«
»Sie sind schwächer, als Sie denken.«
»Mir fehlt nichts! Mir tut ja nicht einmal mehr etwas weh!«
»Weil Sie unter Medikamenten stehen. Ohne Schmerzmittel würden Sie ganz anders daliegen, glauben Sie mir.«
Am Ende gab er sich geschlagen.
»Morgen«, brummte er leicht gekränkt. »In Jesu Namen. Aber nicht, bevor ich Sie noch einmal gesehen und untersucht habe.«
Als ich später zur Toilette musste, stellte ich fest, wie recht er hatte. Ständig musste ich mich festhalten, weil mir schwindlig wurde, und als ich endlich wieder im Bett lag, war ich glücklich, es ohne Hilfe geschafft zu haben.
Der Arzt mit dem unaussprechlichen Namen hielt Wort. Schon am nächsten Vormittag wurde ich verlegt. Liegend, darauf hatte er bestanden. Die Zwillinge durften im Krankenwagen mitfahren und waren bester Laune. Aufgekratzt erzählten sie mir von ihrer überaus netten Gastgeberin, der Sergeantin, die fünf Kinder hatte und gar keinen Vater dazu. Zwei der Söhne, Jean und Pascal, waren etwa im Alter meiner Töchter, und man hatte beschlossen, sich Briefe zu schreiben. Natürlich würden meine Mädchen dabei ihr Französisch mächtig aufpolieren, was mich doch bestimmt freute, nicht wahr?
Ich freute mich tatsächlich, denn Französisch war ihr ewiges Sorgenfach, und ich tat so, als vermutete ich nicht etwas ganz anderes hinter ihrer plötzlichen Begeisterung für die Sprache unserer Nachbarn. Von einer in Heidelberg entführten Frau wussten auch meine Mädchen nichts. Was war nur mit Theresa?Wieso wurde sie offenbar nicht vermisst? Zwischendurch schlief ich, meine Töchter stritten, jedoch angemessen leise, und irgendwann waren wir zu Hause. Die Treppe bis zu unserer Wohnung hinauf schaffte ich auf eigenen Beinen, es ging besser als befürchtet. Ich beschloss, mich nicht, wie streng angewiesen, ins Bett, sondern auf die Couch im Wohnzimmer zu legen. Und zwar vollständig angekleidet und nicht im Schlafanzug. Meine Töchter kochten Kaffee und unter meiner Anleitung Tortellini mit Käsesauce.
Als die Aufregung sich gelegt hatte und die Tortellini vertilgt waren, fragte ich die beiden vorsichtig tastend, was genau geschehen war in den Tagen nach meiner Entführung. Heute war Montag, fast auf die Stunde genau vor einer Woche war ich in Durians Lieferwagen gestiegen. Balke und Vangelis hatten meine Töchter zunächst im Unklaren gelassen, erfuhr ich, um sie nicht mehr als nötig zu beunruhigen. Erst nach und nach war man mit der Wahrheit herausgerückt, hatte ihnen jedoch immer wieder versichert, man wisse längst, wo Durian mich festhalte, meine Befreiung stehe kurz bevor und man warte nur noch auf eine günstige Gelegenheit. Natürlich hatten sie dennoch Angst gehabt, grausame Angst. Es war kaum mehr als zwei Jahre her, dass sie ihre Mutter verloren hatten, von einem Tag auf den anderen. Natürlich hatten sie mit dem Schlimmsten gerechnet. Und jetzt waren sie sehr, sehr glücklich, dass ich wieder da war.
»Anfangs hatâs geheiÃen, du wärst dauernd unterwegs und hättest wahnsinnig viel zu tun«, sagte Sarah.
»Aber das haben wir gleich nicht geglaubt«, ergänzte Louise. »Auch wenn du total im Stress bist, normalerweise rufst du ja wenigstens mal an.«
Auch in den Zeitungen der letzten Woche fand ich kein Wort über eine verschwundene Frau. Das konnte doch nicht sein! Als die Zwillinge später vor ihren PCs saÃen und ich sicher sein konnte, dass sie nicht überraschend hereinplatzten, betrachtete ich noch einmal die Perlenkette. Ein unpassender säuerlicher Geruch stieg mir in die Nase. Ich schnupperte, und tatsächlich: Die bräunlichen Flecken waren kein Blut, sondern Ketchup. Sollte Durian mich so zum Narren gehalten haben? Gleich nachunserer Ankunft hatte ich Louise gebeten, mein Handy ans Ladegerät zu hängen. Jetzt stand ich auf, holte es und schaltete es an. Es wollte gar nicht wieder aufhören zu brummen, so viele neue SMS gab es zu melden. Manche von meinen Töchtern,
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