Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
Er nahm seinen Mantel über den Arm. Merja und Jussi starrten ihn verängstigt an.
»Legt euch wieder hin«, sagte er und trat ins Freie.
Die Kälte draußen überraschte ihn.
Der Sommer ist nicht echt, dachte er, als er zum Auto rannte.
Er fuhr den schmalen Waldweg entlang zur Landstraße.
Er dachte an das Wochenende, das er als Schüler in Turku verbracht hatte. Es war eine weite große Reise gewesen für ihn und seine Klasse aus Kitee und sein erster Aufenthalt in Turku. Er erinnerte sich an die beiden Nächte in der Jugendherberge und daran, dass einer seiner besten Freunde über ihm mit einem Mädchen gelegen hatte, das er selbst gemocht hatte. Er dachte, dass er diesen Freund lange nicht gesehen hatte und nicht wusste, was er heute machte … wo er lebte, ob er lebte.
Er wusste nicht mehr, wie das Mädchen ausgesehen hatte.
Er dachte, dass es eine Ewigkeit her war.
Er dachte an Sanna.
Die Herberge lag direkt am Aurajoki, dem Fluss, der die Stadt teilte. Das Gelände war abgesperrt. Uniformierte Polizisten grüßten ihn. Er erkannte in der Dunkelheit nicht, wer es war, aber er erwiderte den Gruß.
Er öffnete eine breite Tür und hatte den Eindruck, einen Tunnel zu betreten. Er ging einen langen Gang entlang auf ein Licht zu und Stimmen entgegen, die er hörte.
Niemi trat aus dem Dunkel.
»Hallo Kimmo«, rief er und lächelte, als sei alles bestens.
»Kann mal jemand Licht machen?« Das war Ketola.
Als er zu dem Zimmer kam, aus dem das kräftige gelbe Licht drang, war plötzlich auch der Korridor hell erleuchtet. Er drehte sich um und sah am Ende des langen Ganges einen Mann stehen, den er kannte. Es war der Herbergsvater von damals, derselbe Mann, fünfzehn Jahre älter, aber er hatte dieselben grauen Haare und dasselbe kantige Gesicht.
»Entschuldigung«, rief der Mann. »Irgendjemand hat hier auf den Schalter gedrückt.«
Joentaa nickte und dachte für einen Moment, dass der Mann ihn erkennen müsste.
»Entschuldigung«, rief der Herbergsleiter noch einmal, verblüfft über das Schweigen seines Gegenübers.
Joentaa wandte sich ab und sah in den Raum, aus dem das Licht gedrungen war. Es war ein großer Schlafraum.
Er sah Ketola, Grönholm und Heinonen an einem Bett stehen, auf dem ein Mann lag. Ketola redete auf Grönholm und Heinonen ein und nickte ihm beiläufig zu, als er näher trat.
Joentaa ging auf das schmale Bett zu und sah auf den leblosen Körper herab. Es war ein großer junger Mann. Er dachte an die tote Frau in dem blauen Haus und daran, dass dieser Mann ein Opfer desselben Täters war.
Er war ganz sicher, dass es so war. Er wusste es.
Auf dem Nachttisch neben dem Bett lagen Spielkarten und ein Handy.
Am Boden stand eine dunkelgrüne verschlissene Reisetasche.
Er hörte Wortfetzen.
»Diese Scheiße hier wird ein Ende haben«, sagte Ketola.
Er sah Heinonen unbeholfen nicken.
»Ihr sprecht jetzt mit jedem und fragt so lange, bis irgendjemand erzählt, was hier passiert ist«, schrie Ketola unkontrolliert.
Heinonen und Grönholm gingen schweigend.
»Schauen Sie sich das an«, sagte Ketola, als Joentaas Blick seine Augen traf. »Das ist unglaublich.« Er deutete auf die Leiche, auf die anderen Betten und schüttelte den Kopf. »Der Mann ist ermordet worden, während neben ihm sieben Menschen geschlafen haben.«
Joentaa nickte. Er wollte etwas sagen, aber er schwieg, weil in seine wirren Gedanken ein Blitz einschlug.
Für einen Augenblick glaubte er, alles zu begreifen.
Er sah den Menschen, den er suchte, durch einen Tunnel laufen.
»Wenn Laukkanen recht hat und es derselbe Täter ist, müssen wir einen Zusammenhang herstellen zwischen der Frau in Naantali und diesem Mann hier«, sagte Ketola.
»Wer ist der Mann?«
»Johann Berg, ein Schwede, 29 Jahre alt, Student, angeblich Musiker, lebt in Stockholm. Er hat einen kleinen Sohn, der jetzt wie die ganze Reisegruppe im Frühstücksraum sitzt und die Welt nicht mehr versteht.«
Niemi kam mit zwei Mitarbeitern und gab schwungvoll Anweisungen, hellwach, unbeeindruckt, unbeirrbar. Joentaa dachte, dass Niemi verrückt war und dass er mit ihm über Sanna sprechen wollte.
»Der Kleine ist offensichtlich nach einem Albtraum aufgewacht und hat versucht, seinen Vater zu wecken.« Ketola wollte weitersprechen, aber er verschluckte seinen Satz und räusperte sich.
Joentaa wusste, was ihm auf der Zunge gelegen hatte.
Dass der wahre Albtraum für den Jungen erst in der Realität begonnen hatte.
»Er hat eine Mitreisende geweckt,
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