Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
stritten. Er hörte, wie die Beschimpfungen immer wüster und lauter wurden. Im gegenüberliegenden Haus wurde ein Fenster geöffnet. Eine junge Frau schrie den Streitenden zu, sie sollten zur Hölle fahren.
Sie drohte damit, die Polizei zu rufen, wenn nicht endlich Ruhe einkehre.
Endlich Ruhe …
Die betrunkenen Männer riefen etwas in Richtung des Fensters, das schon geschlossen worden war. Nach einer Weile schlugen sie den Weg zur Kneipe ein, aus der sie vermutlich gekommen waren.
Er sah ihnen nach. Sie lachten und umarmten sich versöhnlich. Kurz bevor sie aus seinem Blickfeld verschwanden, sah er sie sterben.
Er wartete, bis es langsam dunkel und kälter wurde.
16
Als Joentaa am Abend nach Hause kam, standen Merja und Jussi Sihvonen im Schatten des Apfelbaumes, der den kleinen Vorgarten des Hauses fast ganz ausfüllte.
Er fuhr langsam auf die Szene zu und sah Sannas Eltern wie in einem Bild stehen, leblose Figuren in einer weich gezeichneten Idylle.
Er spürte den tiefen Wunsch, dieses Bild zu malen.
Er parkte den Wagen neben ihnen. Er sah sie durch die Scheibe an und nickte ihnen lächelnd zu, aber sie reagierten nicht. Sie schienen kaum zu registrieren, dass er da war.
Neben Merja standen zwei braune Koffer, ein kleiner und ein großer. Er stieg aus und ging auf sie zu. Er fixierte sie und wartete darauf, dass sie sich aus ihrer Erstarrung lösten, aber sie bewegten sich nicht. Er ging auf sie zu, lächelte und spürte die Wärme der Sonne in seinem Nacken.
Er stellte sich vor, dass sie nicht lebten … dass sie zu Staub zerfallen würden, wenn er sie berührte.
Als er vor ihnen stand, wusste er nicht, was er tun sollte. Er streckte ihnen unbeholfen die Hand entgegen.
»Schön, dass ihr da seid«, sagte er.
Jussi Sihvonen hob den Blick und nahm seine Hand.
»Ich wollte euch anrufen. Es tut mir leid, dass ich das gestern vergessen habe«, sagte Joentaa.
»Es ist vielleicht besser, wenn wir uns ein Hotel nehmen«, sagte Jussi, als habe er seine Worte nicht gehört.
»Unsinn. Ihr könnt gern bleiben.« Joentaa nahm die Koffer und ging auf den Absatz der Treppe zu. Er blickte sich um und sah, dass sich die beiden langsam aus dem Schatten des Baumes lösten.
Er führte sie ins Wohnzimmer, entfernte Kissen und Decke von seinem provisorischen Sofabett und bat sie, sich zu setzen. Er kochte Tee für sich und Kaffee für Merja und Jussi und fühlte die plötzliche Übelkeit, die er am Vortag unter der Dusche gespürt hatte.
Kurz bevor er in tiefes Schwarz hinabgestürzt war.
Er konzentrierte sich darauf, Tee und Kaffee in weiße Tassen zu gießen. Das Schwindelgefühl ließ langsam nach.
Er brachte das Tablett mit den Tassen und der Kanne ins Wohnzimmer.
Er hörte das helle Klirren des Porzellans. Er hörte, wie der Zuckerwürfel in der Flüssigkeit zerfiel. Er hörte Merjas heiseres verzweifeltes Atmen und registrierte, dass sie noch kein Wort gesagt hatte.
»Der Arzt hat Merja eigentlich verboten zu fahren«, sagte Jussi Sihvonen, der seinen Blick auffing. Sannas Vater hob die Tasse an seinen Mund. Seine Hände zitterten, ein Teil der Flüssigkeit floss an seinem Hals hinab in den Kragen seines hellblauen Sommerhemds. »Er hat ihr sehr starke Beruhigungsmittel verschrieben.«
Merja saß geduckt neben Jussi auf dem Sofa und starrte Joentaa direkt in die Augen. Er wandte sich ab, als er es bemerkte.
Er suchte nach Worten, die er sagen konnte, aber er fand keine.
Als Merja die Stille brach, klang ihre Stimme fremd.
»Ich habe immer gehofft, dass sie weiterleben würde«, sagte sie.
Joentaa sah sie an. Er dachte, dass sie seit ihrem Besuch in der vergangenen Woche um Jahre gealtert war.
»Wie ist sie gestorben?«, fragte sie.
»Sie hat geschlafen. Es war … sehr ruhig.«
Er hielt inne und dachte an die Nacht, in der Sanna gestorben war … an die Dunkelheit und an den turmhohen Gedanken, der ihn erdrückt hatte.
Den Gedanken, alles zu verlieren.
»Es war sehr ruhig, sie hat geschlafen«, sagte er. Er sah Merja an. »Sie hat bis zum Schluss keine Schmerzen gehabt.«
Er suchte Trost in ihren Augen, aber er fand keinen.
Joentaa bot an, Essen zu machen. Sie wollten nichts, aber er kochte trotzdem, erleichtert, sich in die Küche zurückziehen zu können.
Er machte aus Resten eine Kartoffelsuppe, die fast unberührt stehen blieb. Sie saßen lange zusammen, aber es wurde kaum ein Wort gesprochen. Irgendwann sagte Merja leise, sie sei müde.
Es dauerte eine Weile, bis er den beiden
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