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Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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weil sein Vater nicht aufwachte. Und die hat festgestellt, dass er nicht mehr lebte. Und es hat merkwürdig gerochen, Chloroform vermutlich.«
    Ein Polizeifotograf kam und machte Fotos, ohne sie vorher zu grüßen. Joentaa sah ihm zu und fragte sich, ob der Mann darüber nachdachte, was er gerade tat.
    »Die Leute sind natürlich total verstört«, sagte Ketola. Und nach einer Weile: »Was hat dieser Schwede mit der Frau in Naantali zu tun?« Er sah Joentaa an, als müsse der die Frage beantworten können.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Joentaa.
    »Sie werden morgen mit Ojaranta sprechen. Wenn es wirklich derselbe Täter ist, müssen wir diese Verbindung herstellen … es kann natürlich ein Zufall sein …«
    »Das glaube ich nicht.«
    Ketola sah ihn scharf an. »Und warum nicht?«
    »Ich weiß nicht.«
    Ketola wandte sich ab, als halte er es für sinnlos, weiter mit ihm zu sprechen. Er trat auf den Gang, ohne noch etwas zu sagen.
    Joentaa blieb am Bett stehen und betrachtete den jungen Mann, der vor wenigen Stunden noch gelebt hatte. Der eingeschlafen war in dem sicheren Glauben, aufzuwachen und weiterzuleben.
    Er sah das unbewegliche Gesicht des Mannes. Er sah die geschlossenen Augen und dachte, dass hinter ihnen nichts mehr war, nicht das Geringste.
    Er dachte an Sanna und daran, dass sie nicht mehr existierte.
    Er sah auf den Mann hinab, der genauso alt war wie er.
    Er dachte an seine Waffe, die zu Hause lag.
    Er fragte sich, ob er in der Lage wäre abzudrücken.
    Er dachte, dass er Sanna für unsterblich gehalten hatte.
    »Wo ist der Frühstücksraum?«, fragte er Niemi, der behutsam die Gegenstände auf dem Nachttisch anhob.
    »Am Eingang direkt links«, sagte Niemi und lächelte ihn an, als wolle er ihn aufmuntern.
    Er ging den langen Korridor entlang, der jetzt von hellem elektrischen Licht durchflutet war, das in seinen Augen schmerzte. Im Frühstücksraum war es dunkler, das schwache Licht kam von schmalen weißen Lampen, die an den Seitenwänden hingen.
    Er sah in versteinerte Gesichter.
    Grönholm, Heinonen und rund ein Dutzend uniformierter Polizisten saßen an Tischen und notierten Aussagen. Sie hatten Schwierigkeiten, sich auf Schwedisch oder Englisch verständlich zu machen. Ketola stand am Rand des Raumes und redete ungehalten auf den Herbergsvater ein, der unablässig abwehrend den Kopf schüttelte.
    Joentaa sah die Szene wie ein Bild.
    An einem Tisch saß ein Junge, der zitterte und weinte. Eine junge Frau umschlang ihn mit ihren Armen. Joentaa ging auf die beiden zu und setzte sich ihnen gegenüber. Er fragte den Jungen nach seinem Namen.
    Der Junge sah zu ihm auf, die Frau umschloss ihn enger und legte ihre Wange auf seinen Kopf.
    »Sven«, sagte er.
    »Kimmo«, sagte Joentaa und streckte dem Jungen die Hand hin. »Ich bin Polizist.«
    Als er die Hand des Jungen spürte, wurde ihm kalt. Er drückte sie fest und wünschte, er könnte ihm seinen Vater zurückgeben. Er ließ die Hand aus seiner gleiten und dachte, dass er ihm nichts würde sagen können, weil es nichts zu sagen gab.
    Heinonen kam und bat die junge Frau, eine Aussage zu machen. Die Frau nickte und erhob sich müde. »Ich bin gleich wieder da«, flüsterte sie Sven zu. Sie sprach fließend finnisch. Joentaa sah die Frau an und fing einen Blick von ihr auf. Er wusste nicht, ob er ihn richtig interpretierte, aber er stand auf, setzte sich neben den Jungen und nahm ihn unbeholfen in den Arm. Als der Junge kraftlos in seinen Schoß sank, begann er, seinen Kopf zu streicheln.
    Er sah der Frau nach und realisierte irritiert, dass sie ihm gefiel. Er zwang sich, den Blick abzuwenden und den Gedanken zu tilgen.
    Nach einer Weile fühlte er sich unendlich weit weg. Er sah Heinonen, der müde war, und Grönholm, der mühsam seine Ungeduld verbarg. Er sah Ketola, der den verdutzten Herbergsvater anschrie. Er sah Menschen, die nicht begriffen, was passierte.
    Er stellte sich vor, die Zeit werde stehen bleiben, gleich, jetzt. Die Szene als Bild, Ketola für immer unterbrochen in seiner Beschimpfung, der Herbergsvater für immer verblüfft, Heinonen für immer müde.
    Wenn die Zeit stehen bliebe, würde er für immer am Rand des Bildes sitzen und Svens Kopf streicheln.
    Er sah Ketola, der auf ihn zukam. »Dem guten Mann ist natürlich nichts aufgefallen«, sagte er. »Nein, da war niemand, der sich merkwürdig verhielt, nein, es war alles ganz normal, nein, er hat nichts gesehen und nichts gehört, nein, es war alles wie immer, und überhaupt ist

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