Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
sagte er.
Der junge Mann hob langsam den Blick. »Vielen Dank.«
»Mein Name ist Kimmo Joentaa. Ich bin Polizist.« Er zeigte seinen Ausweis. Der junge Mann sah ihn fragend an. Joentaa hatte den Eindruck, dass er noch nicht in die Realität zurückgekehrt war, dass er ganz langsam aus einer anderen Welt auf ihn zukam, und er wünschte sich, ein Instrument spielen zu können. Er wünschte sich, in der Lage zu sein, mit Musik eine Gegenwelt aufzubauen.
»Was ist das für eine Melodie?«, fragte Joentaa. Der junge Mann starrte ihn an und schien nicht zu begreifen. »Ich meine, was haben Sie gespielt …«
»Ach, das war irgendwas. Ich spiele immer irgendwas. Meistens ähneln sich die Melodien, weil ich keine Noten lesen kann.« Er lächelte. »Ich drücke Tasten, von denen ich weiß, dass sie schön klingen.«
Joentaa nickte. »Das machen Sie sehr gut.«
Der junge Mann senkte den Kopf und spielte zaghaft weiter. Joentaa hatte das Gefühl, dass er sich über das Lob freute.
»Sie sind Vesa?«
»Ja. Vesa Lehmus.«
»Sie haben gestern eine Reisegruppe durch die Handwerksstuben geführt.«
»Mehrere sogar. Fünf insgesamt.«
»Ich meine eine Gruppe schwedischer Touristen. Junge Leute, Studenten. Erinnern Sie sich?«
»Ja. Das war die erste Gruppe, am Morgen.«
»Ist Ihnen … etwas aufgefallen, etwas Ungewöhnliches?«
»Was meinen Sie?«
»Ein Mitglied der Reisegruppe … ist ermordet worden.« Joentaa hielt inne und wartete auf eine Reaktion, aber es kam keine. Die Augen des Mannes blieben leer, als verstehe er nicht.
»Aber wieso denn?«, fragte er.
»Ich hatte gehofft, dass Sie mir vielleicht helfen könnten … etwas beobachtet haben … ich weiß, dass das unwahrscheinlich ist …«
»Wer ist gestorben?«, fragte er. »Ich kann mich an alle noch sehr gut erinnern.«
»Aber Ihnen ist nichts aufgefallen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Wer ist denn gestorben?«, fragte er noch einmal.
»Es tut mir leid, aber ich darf Ihnen keine näheren Informationen geben«, sagte Joentaa.
Der junge Mann nickte langsam und schwieg lange. »Es ist sehr traurig, dass einer von ihnen nicht mehr lebt. Sie schienen alle sehr nett zu sein«, sagte er schließlich.
Joentaa nickte.
Er blieb noch eine Weile stehen, während der junge Mann wieder zu spielen begann, erst zaghaft, dann bestimmter. Joentaa sah, dass er die Augen schloss und sich in der Melodie verlor.
Er beneidete ihn.
Als er sich verabschiedete, sah Vesa Lehmus kurz auf und lächelte ihn an.
19
Während er ins Präsidium fuhr, dachte er an die Konferenz, die Nurmela für zwölf Uhr angesetzt hatte, und daran, dass er nicht vorbereitet war.
Er blieb nach seiner Ankunft eine Weile im Wagen sitzen und bemühte sich, alles, was er über die tote Frau in Naantali wusste, in Erinnerung zu rufen. Es gelang ihm nicht.
Er versuchte, Laura Ojaranta zu sehen, und sah Sanna.
Er stieg aus, um den Gedanken abzuwürgen.
Er ging langsam auf das braune Backsteingebäude zu und stellte sich vor, wegzurennen und zu schreien. Er wollte rennen, bis er vor Erschöpfung das Bewusstsein verlieren würde.
Am Treppenabsatz standen zwei Männer, die aufgeregt in ihre Handys redeten. Als er näher kam, sah er, dass er sie kannte. Zwei Journalisten, die Ketola bei Pressekonferenzen gern mit unangenehmen und offensiven Fragen in Verlegenheit brachten. Vor allem der Jüngere, Markus Helin, dessen flapsige Art Joentaa nicht mochte, genauso wenig wie die städtische Boulevardzeitung Illansanomat , für die Helin arbeitete.
Helin lächelte ihm schon von Weitem zu. »Das ist ja ein Ding«, sagte er, als Joentaa an ihm vorbeiging.
Joentaa begriff nicht, was er meinte. Er glaubte kurz, Helin spiele auf Sannas Tod an und wolle sich lustig machen, aber er verwarf den Gedanken sofort als abwegig.
Er fuhr mit dem Aufzug in den fünften Stock und lief Grönholm in die Arme, der aufgedreht wirkte.
»Wir haben ihn«, sagte er.
Joentaa erschrak.
Er begriff seine Reaktion erst nach einigen Sekunden.
»Wir haben ihn«, sagte Grönholm noch einmal. »Den Attentäter, der Sami Järvi angeschossen hat. Du solltest dir den bösen Menschen anschauen, es lohnt sich.« Joentaa realisierte erst jetzt, dass Grönholm grinste, dass er bester Laune war.
Er nickte nur und ging weiter.
»Im Vernehmungszimmer«, rief Grönholm ihm nach.
Er nickte abwesend.
Im ersten Moment hatte er geglaubt, Grönholm meine den Mörder von Laura Ojaranta und Johann Berg. Der Gedanke, dass der Täter gefasst war,
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