Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
hatte ihn erschreckt, hatte ihm Angst gemacht. Mit dem Mörder würde auch das Rätsel verschwinden, das ihn vor der endgültigen Leere bewahrte.
Am breiten Fenster vor dem Vernehmungszimmer stand Tuomas Heinonen. Durch die Scheibe drang die scharfe Stimme Ketolas.
»Was haben Sie sich dabei gedacht?«, schrie er.
Joentaa trat neben Heinonen, der still in sich hineinlächelte.
Der Attentäter, nach dem Hundertschaften von Polizisten gesucht hatten, der die Nachrichten beherrscht und über den ganz Finnland geredet hatte, war eine schmächtige Frau mit kurzen Haaren, einer Brille und einer Handtasche, die sie fest umklammert auf ihrem Schoß hielt, während Ketola sie anschrie.
Joentaa begriff nicht, was Grönholm und Heinonen daran so amüsant fanden. »Hat sie irgendetwas gesagt?«, fragte er. Heinonen zuckte die Achseln. »Die ist nicht ganz dicht«, sagte er. »Meistens schweigt sie, und wenn sie mal was sagt, ist es wirres Zeug.«
Ketola war aufgestanden. Er trat hinter die Frau und beugte sich über ihre Schulter. »Wenn Sie in zehn Sekunden nicht irgendetwas Sinnvolles sagen, schlage ich Ihnen die Fresse ein«, sagte er und wandte sich ab. Joentaa glaubte im ersten Moment, sich verhört zu haben. Er wandte sich Heinonen zu, der die Augenbrauen hob.
Ketola stand am Rand des Raumes und zählte. »Eins, zwei, drei, vier …«
Die Frau saß gebückt auf dem Stuhl und schien nicht zu begreifen, was um sie herum passierte. Sie trug eine altmodische Tracht, die Joentaa an Heimatfilme erinnerte, bei denen seine Mutter geweint hatte, vor vielen Jahren.
Ketola zählte. Bei zehn hielt er kurz inne, dann stürzte er auf den Holzstuhl zu und begann an der Lehne zu rütteln, bis die Frau zu Boden fiel. Ketola trat ihr in den Rücken. »Reden Sie!«, schrie er.
Joentaa stand wie erstarrt. Er sah die Szene für einige Sekunden wie einen schrägen, unverständlichen Sketch, der mit der Realität nichts zu tun hatte. Dann löste er sich und rannte ins Vernehmungszimmer. Ketola beugte sich über die Frau, die ihre Augen geschlossen hatte und etwas vor sich hin murmelte. Joentaa packte Ketola. Er wollte ihn zur Tür zerren, aber Ketola riss sich los, fasste ihn am Kragen und rammte ihn gegen die Wand. »Was wollen Sie hier?«, schrie er.
»Beruhigen Sie sich«, stammelte Joentaa. Er sah Heinonen, der völlig entgeistert, mit offenem Mund durch die Scheibe starrte. »Beruhigen Sie sich«, sagte Joentaa noch einmal. Er bemühte sich, klar und eindringlich zu sprechen, und zwang sich, Ketola direkt in die Augen zu schauen. Er spürte erleichtert, dass sich die Hände an seinem Hals lockerten. Ketola wich seinem Blick aus und schien langsam zu erwachen. Er packte ihn noch einmal, dann ließ er los und sackte in sich zusammen. Er stand mit hängenden Schultern vor ihm. Joentaa spürte, dass er um Worte rang. »Wir sprechen uns später«, sagte Ketola nach einer Weile im alten Befehlston, aber mit gesenktem Kopf.
Er ging, ohne Joentaa anzusehen.
Joentaa schloss die Augen und fragte sich, ob jetzt alles vorbei sei. Ob er mit Ketola weiterarbeiten könnte nach diesem Zwischenfall. Er fragte sich, was eigentlich passiert war, warum es passiert war und ob er sich richtig verhalten hatte.
Die Frau lag noch am Boden und wimmerte vor sich hin. »Er ist ein schlechter Mensch …«, murmelte sie. Joentaa trat an sie heran und versuchte vorsichtig, sie aufzurichten. »Es ist vorbei«, flüsterte er beruhigend, als sie sich sträubte. »Ganz ruhig, alles in Ordnung.«
Die Frau ließ sich auf den Stuhl heben. Als sich ihre Blicke trafen, sah sie ihn fragend an.
»Alles in Ordnung?«, fragte Heinonen, der plötzlich hinter ihm war, mit rotem Kopf, atemlos. Im Türrahmen standen unentschlossen zwei uniformierte Polizisten.
»Ich denke schon«, sagte Joentaa. Er nickte zögernd und musste lachen, er wusste nicht, worüber. Vielleicht über Heinonens Gesicht oder die dumme Frage, die er gestellt hatte.
»Ketola scheint durchzudrehen«, sagte Heinonen hilflos.
Joentaa atmete tief durch und zwang sich, dieses unsinnige Lachen abzuschütteln.
»Wo ist er denn hin?«, fragte Heinonen.
»Ich weiß nicht.« Joentaa gab den beiden Uniformierten das Signal, bei der Frau zu bleiben, und schob Heinonen aus dem Zimmer.
»Was ist hier eigentlich los?«, fragte er, als sie auf dem Flur standen. Heinonen begriff nicht. »Ich meine, woher kommt diese Frau?«, präzisierte Joentaa.
»Grönholm hat sie heute Morgen festgenommen. Er war die
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