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Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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dass er es tun würde, ohne zu denken.
    Er hatte den schlafenden Mann betäubt. Er hatte das Kissen unter ihm weggezogen und auf sein Gesicht gedrückt.
    Er hatte die Augen geschlossen.
    Als er sicher war, dass es vorbei war, hatte er losgelassen.
    Er hatte den Würfelbecher genommen, der auf dem Nachttisch gestanden hatte.
    Er hatte sich abgewandt und war den dunklen Gang entlang auf das Niemandsland zugelaufen.
    Er hatte seine Euphorie herausgeschrien.
    Die grelle gelbe Angst war in tausend Funken zerstoben.
    Er war unsterblich.
    Er war der Tod.

22
    Am Tag der Beerdigung endete der Sommer.
    Kimmo Joentaa schüttelte Hände und bedankte sich für Beileidsbekundungen. Seine Mutter wollte ihn unter ihren Schirm ziehen, aber er riss sich los und blieb als Einziger im Regen stehen.
    Er dachte an Sanna und daran, dass sie Regen gemocht hatte.
    Er sah Sanna im Regen tanzen.
    Er fror.
    Er stand neben dem Pfarrer von Lenganiemi, der über Sanna sprach, aber er hörte nicht, was er sagte.
    Später versicherten ihm alle, es seien schöne Worte gewesen.
    Er erinnerte sich wieder an den Tag, den er mit Sanna auf Lenganiemi verbracht hatte. Vor Jahren, vor einer Ewigkeit. Er begriff nicht, warum er sich nicht mehr richtig hatte erinnern können, als er nach Sannas Tod auf die Halbinsel gefahren war, um mit dem Pfarrer zu sprechen.
    Es war ein schöner Tag gewesen. Sanna hatte viel geredet, und er hatte genickt und nicht zugehört. Er hatte viel zu häufig genickt und nicht zugehört, wenn sie gesprochen hatte. Weil er nicht geahnt hatte, wie wertvoll jedes einzelne ihrer Worte gewesen war.
    Er dachte, dass er noch einmal ihre Stimme hören wollte.
    Noch einmal ihr Lachen.
    Viele von Sannas Freunden und Arbeitskollegen waren gekommen und viele seiner eigenen Freunde.
    Er sah sie wie Fremde.
    Pasi und Liisa Laaksonen waren da. Rintanen. Auch Niemi und zu Joentaas Verblüffung Ketola.
    Manche der Anwesenden hatte er lange nicht gesehen. Am meisten überraschte ihn, dass Markku Vatanen gekommen war, ein Schulfreund aus Kitee, mit dem er seit der Abiturfeier nicht mehr gesprochen hatte.
    Als er ihn sah, erinnerte er sich, dass er manchmal, nachts, kurz bevor er einschlief, an ihn gedacht hatte, dass er sich gefragt hatte, wie es ihm gehe. Er hatte dann immer mit dem Gedanken gespielt, ihn anzurufen, irgendwann, bald, aber am Morgen war der Gedanke nicht mehr da gewesen.
    Er dachte, dass Markku hätte sterben können, ohne dass er es jemals erfahren hätte.
    Er freute sich, dass er gekommen war, aber er konnte es nicht zum Ausdruck bringen. Er konnte nicht sprechen, mit niemandem, und alles, was er dachte, war, dass dieser Tag der schlimmste in seinem Leben war.
    Er hörte Erde auf Sannas Grab fallen und dachte, dass er sich am Abend das Leben nehmen würde. Er sah sich am See stehen, auf dem Steg. Es war kalt und windig. Er hielt die Pistole gegen seine Schläfe und hatte keine Angst mehr abzudrücken.
    Er stellte sich vor, was danach passieren würde. Er stellte sich vor, zu Sanna zurückzukehren, sie zu umarmen, fest an sich zu drücken, für immer. Aber er glaubte nicht daran.
    Er beneidete den Pfarrer um seinen Glauben, den er nicht begriff.
    Er dachte, dass der Gedanke, ewig zu leben, noch beängstigender war als der Tod.
    Seine Mutter hatte geplant, nach der Beerdigung in einem kleinen Veranstaltungssaal neben dem Gemeindehaus ein Essen zu organisieren, aber Kimmo Joentaa hatte kategorisch abgelehnt. Als seine Mutter begonnen hatte, gegenzureden, hatte er sie angeschrien. Sie solle ihren Mund halten, er wolle nichts mehr hören.
    Am liebsten hätte er Sanna allein beerdigt.
    Während er Hände schüttelte und in traurige, mitfühlende Gesichter sah, bereute er, dass er es nicht getan hatte.
    Irgendwann war es vorbei. Die meisten waren gegangen, ohne dass er es bemerkt hatte. Er realisierte es erst, als sie weg waren. Er stand im strömenden Regen vor dem Grab und dachte, dass alles nicht wirklich war. Dass alles anders sein musste.
    Seine Mutter trat vorsichtig an ihn heran und fragte, ob er nicht mitkommen wolle.
    Er schüttelte den Kopf.
    Er sah Merja und Jussi Sihvonen, die schon am Wagen warteten. Merja weinte. Jussi stand mit starrem Gesicht hinter ihr. Er redete auf sie ein, verzweifelt bemüht, sie zu beruhigen.
    »Ich bleibe noch«, sagte Joentaa zu seiner Mutter. Er gab ihr den Wagen- und den Hausschlüssel. An dem Bund hing ein Anhänger, den Sanna ihm geschenkt hatte. Ein Eisbär aus weißem Holz. »Jussi soll

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