Eistochter
drei Meter vor mir einen Umriss. Irgendwo dort drüben scheint die Sonne. Neugierig stehe ich auf und stapfe zu der Stelle, an der ich das Funkeln gesehen habe.
Und dort, inmitten dieses Schneesturms, steht Summer Hill, vollkommen von einer unsichtbaren Kuppel überwölbt und so hell und sonnig wie an einem strahlenden Sommertag.
14
Summer Hill.
Wie eine Fata Morgana schimmert das hellgelbe Haus in der leuchtenden Sonne. Hohes Wiesengras wiegt sich, so dass eine Welle sich vom Fuße des Hügels zur Kuppe ausbreitet, auf der das Haus steht. Aus meinem Blickwinkel scheint das Dach den strahlend blauen Himmel zu durchstoßen.
Meine Finger zittern, als ich den Reißverschluss der Vordertasche meines Rucksacks aufziehe und das Bild heraushole, das ich aus dem Album in meinem Zimmer gestohlen habe. Beck und ich lächelnd auf den hölzernen Stufen, die zu der Veranda führen, die dieses Haus auf drei Seiten umgibt, vor derselben Reihe niedriger, weiß gestrichener Stühle.
Der erste Stock scheint ganz aus Glas zu bestehen, was die Illusion erzeugt, dass das steile Dach über dem Rest des Hauses schwebt. Weiter links liegen die kleineren, strahlend weißen Nebengebäude. Genau wie auf dem Foto.
Ich bin da.
Wie vorhin zieht eine unsichtbare Schnur an mir, drängt mich voran. Ich kann es mir nicht erklären, aber ich weiß – weiß mit Gewissheit! –, dass Beck hier ist.
Tränen der Erleichterung drohen den schönen Augenblick zu ruinieren, als ich auf das Haus zurenne, da ich es kaum erwarten kann, ihn zu sehen. Aber nach drei Sprüngen werde ich von einer unsichtbaren Barriere aufgehalten. Ich spüre keinen Schmerz; es ist nur so ein Gefühl, als würde man in einem dicken Haufen unverrückbarer Kissen landen.
Wie die Schule wird Summer Hill von einer durchsichtigen Barriere geschützt – nur dass diese hier sich bis über das Haus erstreckt, wie eine riesige umgekehrte Schneekugel, um deren Außenseite Schneetreiben herrscht, während drinnen die Sonne hell und beständig scheint. Insekten summen durchs Gras, und am Himmel steht keine einzige Wolke.
Ich strecke die Finger aus, bis die glatte Oberfläche zwischen sie quillt. Sie passt sich meiner Form an, lässt meine Finger aber nicht durchdringen. Kleine Vibrationen gehen von der Kuppel aus. Sie ist ganz anders als die Barrikade in der Schule.
Ich balle die Hand zur Faust und schwinge sie gegen die unsichtbare Mauer, finde aber nichts Festes, auf das ich einschlagen könnte.
»Hallo!«
Niemand antwortet. Ich strecke meine Hand noch einmal nach der Kuppel aus, greife nach etwas, was ich festhalten kann, bekomme aber nichts zu fassen.
Mein Blick schweift über das Kuppelinnere. Summer Hill liegt still da und ist scheinbar verlassen. Das einzige Lebenszeichen ist eine einsame Libelle, die zwischen den hohen Gräsern umherschwirrt.
Ich hocke mich auf den gefrorenen Boden und denke über das Sicherheitssystem nach. Es ist anders als jedes andere, das ich bisher gesehen habe. Es gibt keine sichtbare Öffnung und keinen Weg darüber hinweg. Wer auch immer es hier installiert hat, will nicht, dass Beck fortgeht.
Aber die Kuppel befindet sich nur über Summer Hill, soweit ich es einschätzen kann. Vielleicht kann ich einen Tunnel unter der Wand hindurchgraben?
Ich lasse mich auf die Knie sinken und grabe durch den Schnee. Sobald ich den Erdboden erreiche, ziehe ich einen abgefallenen Ast an die Stelle und benutze ihn als Schaufel. Er bricht ab – der Boden ist steinhart.
Tränen steigen mir in die Augen, aber ich sollte nicht weinen. Ich muss einfach weitergraben. Meine Fingernägel kratzen am gefrorenen Boden. Kleine Erdstücke lösen sich.
Zorn überkommt mich und verscheucht all die vorangegangene freudige Erregung. Meine Fäuste schlagen auf die Barriere ein, aber wie schon zuvor finden sie kein Ziel.
Ich bin nicht von so weit her gekommen, nur um jetzt zu scheitern. Kleine Flammen züngeln aus meinem brennenden Herzen und toben wie die wachsende Wut des Sturms. Ein Schrei bildet sich in meinem Rachen: »Lasst mich rein!«
Ein kleiner Knall, als ob sich ein Korken aus der Flasche lösen würde. Ich ramme die Faust wieder ins Nichts. Die Barrikade wankt, und eine Wand aus warmer Luft trifft mich und explodiert vor meinen Ohren. Unter meiner Hand löst sich die dicke, weiche Barriere auf.
Ich mache einen Satz rückwärts.
Die Barriere ist verschwunden, hat sich vollkommen aufgelöst. Da ich Angst habe, dass die Wand sich wieder schließen könnte,
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