Eistochter
spüre, wie die Energie Fahrt aufnimmt. Zorn baut sich auf. Meine Gedanken kreisen um Bethinas Worte: Meine Familie ist Dunkel, meine Ururgroßmutter, wahrscheinlich auch mein Bruder, eindeutig meine Mutter.
Dunkel. Jeder einzelne von ihnen.
Und ich.
Ich bin die dunkelste von allen. Die böseste. Ich.
Von ferne umspielen mich gedämpfte Stimmen.
Sie sind nicht freundlich.
»Malins Tochter«, zischen und schreien sie. Ich höre es, wieder und wieder und wieder.
Ich will mir die Ohren zuhalten und mich davor verstecken, aber das kann ich nicht. Ich sitze in der Falle.
Alle Geräusche verklingen, und mein Verstand schwimmt durch mein Bewusstsein, lässt die Gegenwart mit der Vergangenheit verschmelzen. Ich erinnere mich an das kleine Mädchen, das von einem Ast zerschmettert wurde. Ich habe sie gehasst. Habe sie dafür gehasst, dass sie keine Rücksicht auf Beck genommen hatte. Ich wollte, dass sie leidet.
Ich habe sie leiden lassen.
Der Zorn arbeitet sich durch meinen Körper hindurch, als ich daran zurückdenke. Meine Seele steht in Flammen. Die Energie kocht erneut hoch. Sie pulsiert und drängt aus mir hinaus.
Bethina hat mich angelogen. Sie wollte gar nicht, dass ich es herausfinde. Mein Körper zittert. Ich kann das Beben nicht kontrollieren. Zorn durchzuckt mich, gefolgt von Schmerz.
»Pst, Vögelchen. Es wird alles gut, versprochen.«
Ruhe senkt sich herab. Diese Stimme kann ich hören. Diese Stimme brauche ich. Mein Körper hört auf zu zittern, und ich versinke wieder in der stillen Dunkelheit.
Hände, so viele Hände, berühren mich – im Gesicht, an den Armen, am Bauch.
»Sie verbrennt. Wir müssen etwas unternehmen.« Becks Stimme klingt gehetzt, verängstigt.
Bewegung. Ich werde irgendwohin getragen. Kalte Luft prallt auf mich. Ich kann nichts sehen. Mehr Worte, die ich aber nicht verstehe. Der Schmerz legt sich, und ich fühle mich sicher – der Zorn ist verraucht.
Ich zwinge mich, die Augen zu öffnen, und blicke mich suchend um. Ich bin draußen, unter den Sternen. Fremde Gesichter drängen sich um mich, beobachten mich.
»Beck?«, flüstere ich.
Starke Hände umfassen mich, heben mich vom Boden hoch und ziehen mich an sich. Ich kenne diese Arme.
»Ich bin hier, Lark.« Ich wende den Kopf und sehe das eine, was mich immer glücklich macht, ganz gleich, wie entsetzlich ich mich fühle – Beck.
Meine Stimme ist rau. »Lass mich nicht allein. Bitte lass mich nicht allein.«
Nichts ergibt mehr einen Sinn. Ich habe Angst. So große Angst. Beck beugt sich vor, so dass seine Stirn meine berührt. Ich vergrabe das Gesicht in seinem Hemd, atme ein und finde Frieden.
»Sei vorsichtig, Beck, sie steht unter Schock«, sagt Bethina mit zitternder Stimme.
Beck trägt mich nach drinnen und legt mich wieder aufs Sofa. Er holt eine Decke vom Sessel und breitet sie über mich. »Hier, Vögelchen. Wenn du so weit bist, können wir reden.«
Weitere fremde Gesichter beobachten uns abwartend.
Aber Stunden vergehen. Dann Tage. Ich sage nichts. Ich sitze da, starre ins Leere. Beck bleibt bei mir, hält meine Hand und fleht mich an aufzuwachen.
Fleht mich an, zu ihm zurückzukehren.
18
Ich entschließe mich aufzuwachen. So einfach ist das. Eben noch ist mein Verstand durch ein endloses Nichts gewatet, jetzt schlage ich die Augen auf. Ich könnte es nicht länger ertragen, von Beck getrennt zu sein.
Meine Augenlider flattern einen Moment lang und gewöhnen sich an das schwache Licht, das durch die durchscheinenden Vorhänge dringt. Becks Kopf schmiegt sich an die Armlehne der Couch; er hat die Finger mit meinen verschränkt.
Ich betrachte sein schlafendes Gesicht, seine rosigen Lippen und seine langen schwarzen Wimpern, seine gebräunte Haut. Nicht die kleinste Kleinigkeit an ihm verrät, dass er ein Empfindsamer ist.
Aber ich kann es mir selbst ja auch nicht ansehen.
Seine blonden Locken führen mich in Versuchung. Ich streiche mit der freien Hand darüber, und als sein weiches Haar meine Handfläche kitzelt, breitet sich ein Gefühl tiefen Friedens in meinem Körper aus. Es fühlt sich wunderbar an. Beck regt sich ein wenig, wacht aber nicht auf.
Ich lasse mich hinabgleiten, bis mein Gesicht auf einer Höhe mit seinem ist. »Beck«, flüstere ich. »Wach auf.«
Er reibt sein Gesicht am harten Polster, lässt aber durch nichts sonst erkennen, dass er wach ist.
»Beck.« Ich streiche ihm mit dem Finger über die Wange.
Ein Lächeln breitet sich auf seinen Lippen aus, und er greift nach
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