Eistochter
anzuschließen.
»Ich kann es gar nicht abwarten, da draußen zu sein und diese bösen Monster zur Strecke zu bringen.« Der Wind trägt mir die Worte zu. Das muss Emory sein. Er erzählt jedem, der bereit ist zuzuhören, von der Karriere, die er sich wünscht: Empfindsamenpolizist.
Der Beruf würde gut zu ihm passen. Er ist stark und schlau, und man muss gerissen sein, um die Empfindsamen zu überlisten.
Eisiger Wind streift mein Gesicht, und ich ziehe mir den Schal bis ans Kinn hoch. Mit den Zähnen reiße ich mir einen Handschuh ab und taste mit tauben Fingern an meinem Armband herum, um den Ton lauter zu stellen. Die Musik harmoniert mit den wirbelnden Schneeflocken – ein taumelnder, fließender Rhythmus, der den Schnee zu dirigieren scheint. Bei jedem Taktschlag tanzen die Flocken zur Seite, statt nach unten zu fallen, und wenn ich mich umdrehe, folgt der Schnee meinen Bewegungen.
Zumindest glaube ich, dass er mir gerade gefolgt ist.
Ich bewege die Hand hin und her. Der Schnee gleitet ebenfalls hin und her, als würde er gewiegt. Wie … seltsam.
Die rationale Seite meines Gehirns sagt mir, dass ich mir Sorgen machen sollte. Es ist wegen Empfindsamenaktivitäten in der Gegend zu einer Verzögerung gekommen, und tanzender Schnee ist nicht normal. Aber so zu tun, als hätte ich die Kontrolle über etwas derart Mächtiges, entzückt mich. Außerdem bin ich innerhalb der Barrikade und habe mein Armband. Und ich habe noch nie gehört, dass »tanzender Schnee« ins Fähigkeitenspektrum der Empfindsamen fällt – es muss am Wind liegen.
Aus Spaß öffne und schließe ich die Faust schnell, und wieder verändert sich der Schnee. Diesmal wird er zu einem kleinen, pulsierenden, wirbelnden Zyklon.
Das rhythmische Trommeln des ersten Lieds geht in die eindringliche Melodie eines anderen über. Der Zyklon kommt zum Erliegen, und eine vertraute Melancholie senkt sich herab. Ich schaue auf und sehe, dass meine Gruppe sich immer weiter von mir entfernt. Ich wünschte, alles könnte immer so bleiben wie jetzt – die Stille, meine Schule, die Vorhersehbarkeit. In letzter Zeit sind alle nur noch mit Gesprächen über den Abschluss und unsere bevorstehenden Bindungen beschäftigt.
Ich bin aufgeregt, wenn ich an die Zukunft denke, aber die Dinge ändern sich. Ich werde nie in diesen Moment zurückkehren können. Fast wie in Reaktion auf meine Stimmung hört der Schnee zu tanzen auf und fällt lustlos vom Himmel.
»He, Vögelchen, willst du dich nicht ein bisschen beeilen? Falls du es noch nicht bemerkt hast: Es ist kalt.« Beck wedelt mir mit den unbehandschuhten Händen vor der Nase herum. »Gibst du dich schon wieder Tagträumen hin?«
Ich schüttle den Kopf. »Hast du das gesehen? Den Schnee, meine ich?«
»Was? Den Schneeteufel?« Sein Grübchen wird tiefer, wenn er grinst. »Ja, es sah so aus, als würde er dir folgen.«
»Aber das hat er doch nicht getan, oder?«
Er zwinkert. »Mein Vögelchen – Herrin der Elemente!« Er hebt mit der bloßen Hand etwas Schnee auf und wirft ihn nach mir. Ich weiche zur Seite aus, und der Schnee verfehlt mich knapp.
Beck pustet auf seine kalte, nasse Hand und sieht mich an wie ein kleiner Hund. Ich überlege, ob ich ihm eine Szene machen soll, weil er mich mit dem Schnee beworfen hat, aber stattdessen greife ich nach ihm. »Gib mir die Hand, Mr. Mir-ist-kalt.« Ich schiebe unsere verschlungenen Hände in meine Tasche. Obwohl Beck doch behauptet hat zu frieren, dringt seine Wärme durch meinen Handschuh.
Er drückt mir die Hand und deutet auf mein Armband. »Darf ich mithören?«
Ich drücke auf einen Knopf, der den Ton in seinen Feed mit einspeist, und stelle die Musik lauter. Er singt ein paar Zeilen des Refrains und führt dazu eine sonderbare Tanzbewegung aus. Beck zieht mich hinter sich her. Ich lache und versetze ihm mit der freien Hand einen Stoß. Wir stolpern über die Füße des jeweils anderen, aber Beck fängt mich auf, bevor ich hinfallen kann.
»Du Verrückter!«, keuche ich unter Gelächter.
»Du meinst, dass das kein ausgefeilter Vorwand war, mich dazu zu bringen, dich in die Arme zu nehmen?«
Ich weiß, dass er Witze macht, aber Hitze flammt in meinem Gesicht auf. Gott sei Dank sind meine Wangen wahrscheinlich ohnehin schon von der Kälte gerötet.
»Du bist manchmal so seltsam«, sage ich, während ich mich aufrichte.
Er verbeugt sich und steckt dann die Hand erneut in meine Tasche.
Um uns herum tanzt und wirbelt wieder der Schnee. Wir gehen noch
Weitere Kostenlose Bücher