Eistochter
Der Tod deines Vaters war kein Unfall. Er ist gestorben, um dich und deine Mutter zu beschützen. Ich kam mit einer Gruppe Lichthexen, um Malin zu stellen. Sie entkam mit dir, aber er hat nicht überlebt. Es tut mir so leid.«
Meine Gedanken überschlagen sich, während mein Blick auf dem knienden Mann vor mir ruht. Er hat mitgeholfen, meinen Vater zu töten?
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Der Gedanke an mich als Baby, mit einer Mutter und einem Vater, die mich beschützt haben, kommt mir seltsam vor. Mr. Trevern könnte genauso gut über jemand anders reden, jemanden aus den Geschichtsbüchern, von dem ich zwar schon gehört, den ich aber nie getroffen habe.
»Warum hätten Sie das tun sollen?«
Mr. Trevern hebt das Gesicht. Unsere Blicke begegnen sich. »Ich werde mir nie verzeihen, dass ich deine Familie zerstört habe.«
Nichts von dem, was er sagt, ergibt einen Sinn. »Sie ist Ihre Schwester. Ich bin Ihre Familie.«
»Lark.« Er streckt die Arme aus und winkt mich zu sich, aber ich bleibe unmittelbar außerhalb seiner Reichweite stehen. »Ich habe mir von anderen Leuten törichtes Zeug in den Kopf setzen lassen. Ich war eifersüchtig auf Malin – ihre Stellung, ihre Kräfte.«
»Also haben Sie versucht, sie zu töten? Und mich?«, frage ich. Meine Gefühle sind von meinen Worten losgelöst. Ich spreche von zwei ganz anderen Personen, nicht von Mr. Trevern und mir selbst. Es ist zu surreal.
»Ja. Und es tut mir seitdem jeden Tag aufs Neue leid.« Er faltet die Hände.
»Warum war ich bei meinen Eltern? Habe ich nicht bei Bethina und mit Beck in der Schule gelebt?«
»Malin brauchte Becks Magie, um dich zu beschützen …«
»Wie?«, frage ich ungeduldig.
Mr. Trevern hebt erneut den Finger und bedeutet mir so zu warten.
Ich bekunde mein Missfallen, indem ich die Arme verschränke und schnaube.
»Bis sie ihn gefunden hatte, warst du zu Hause, wo sie dich beschützen konnte, sicherer.« Er schüttelt den Kopf. »Seine Eltern dagegen haben ihn versteckt, sobald sie von Malins Plan erfahren haben, ihn zu deinem Partner zu machen.«
»Weil ich ihn töten werde.«
»Ihr stellt beide eine Gefahr füreinander dar.« Sein Blick bohrt sich in mich. »Nachdem wir deinen Vater getötet hatten …« Er unterbricht sich und schluckt schwer. »Malin war verzweifelt darauf bedacht, dich zu beschützen. Es gibt so viele unter uns, die sich von Angst beherrschen lassen und die schon damals, als du noch ein kleines Kind warst, versucht hätten, dich zu vernichten. Da du eine Nachkommin von Caitlyn bist, wirst du einmal sehr stark sein. Du bist es jetzt schon.« Er zieht die Mundwinkel herab, und ein Hauch von Beschämung huscht über sein Gesicht.
Ich bedeute ihm mit einer Handbewegung fortzufahren.
»Als Malin Beck fand, überzeugte sie Margo, ihn ihr zu überlassen. Auf ein Wort von Malin hin hätten die Dunkelhexen Jagd auf ihn gemacht. Margo hatte keine Wahl. Sie musste zustimmen. Niemand dachte, dass ihr beiden euch einander annähern würdet. Ihr seid von so verschiedener Natur.« Er fährt sich mit der Hand durchs dichte Haar und blickt auf den See hinaus.
»Wie hat das die Hexen davon abgehalten, mich anzugreifen?«
»Malin hat eure Magie ineinander verschlungen, indem sie Beck ein Stück deiner Dunkelheit eingepflanzt hat und dir ein Stück seines Lichts. Es wirkt als Automatismus: Solange ihr Kinder seid, kann niemand einem von euch etwas antun, ohne zugleich dem anderen zu schaden. Deshalb geht keine der beiden Seiten gegen euch vor. Es schützt euch bis zu eurem Geburtstag.«
Zwei Herzen, zu einem verschlungen. Ihr werdet für immer ein Stück des jeweils anderen in euch tragen.
Meine Augen weiten sich vor Entsetzen. Die Ausdrücke, die er verwendet – »verschlungen«, »Stücke« -, habe ich schon einmal gehört. Die Worte beginnen einen Sinn zu ergeben. Eloise hat mir nicht alles erklärt.
Es ist alles still. Ich kämpfe gegen die Übelkeit an, die sich in mir regt.
»Sie hat uns aneinandergebunden?«, flüstere ich.
26
Mr. Trevern springt auf die Beine und packt mich; seine Finger schließen sich um meine Schultern. »Sie hat es getan, um dich zu beschützen. Du bist eine unglaublich mächtige Dunkelhexe, womöglich die stärkste aller Zeiten.«
»Was bewirkt sie?«, rufe ich. »Die Bindung?«
»Anders als bei Menschen, deren Bindungen rein zeremonieller Natur sind, tauschen wir Hexen ein Stück Magie mit unserem Partner aus und sind so zeit unseres Lebens miteinander verbunden.
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