Eistochter
darüber zu gelangen, ob er meine Frage beantworten soll oder nicht. Nach langem Zögern sagt er: »Die Versammlung wird ihn als Dunkelhexer nicht am Leben lassen, Lark. Ihr beiden wärt zu mächtig. Wir wären in der Unterzahl.«
Kann alles endlich einmal aufhören, noch schlimmer zu werden?
»Ich lasse nicht zu, dass jemand ihm etwas tut.« Meine Tränen versiegen, und meine Entschlossenheit gewinnt die Oberhand. »Und ich werde Beck nicht töten.«
Er schenkt mir ein schwaches Lächeln. »Ich weiß, dass du das nicht willst.«
»Mr. Trevern …«, beginne ich.
»Nenn mich Henry.« Henry? So ein normaler Name. Seltsam.
»Okay, Henry«, sage ich und probiere so den Namen aus. »Kann ich lernen, nicht böse zu sein?«
Er zieht noch ein Taschentuch aus der Tasche und wischt sich das Gesicht ab. Mir ist nie zuvor aufgefallen, wie jung er im Vergleich zu meinen anderen Lehrern ist.
»Ich glaube nicht, dass du böse bist, Lark, und ich glaube auch nicht, dass Malin von Grund auf böse ist.«
Ich fahre mir mit der Zunge über die Zähne. »Ich verletze andere. Wenn ich Angst habe oder mich erschrecke, füge ich Leuten Schaden zu und zerstöre Gegenstände. In welcher Hinsicht ist das nicht böse?«
»Es verstört dich. Du zeigst Reue – Malin nicht. Das hat sie nie getan. Du trägst Licht in dir. Vergiss das nicht.«
Ich starre meine Fingernägel an. Sie sind mit getrocknetem Sand überzogen. »Stimmt – Beck ist Lichthexer.«
Henry erklärt: »Nein. Es hat damit noch mehr auf sich.«
»Nein, hat es nicht. Becks Einfluss ist doch der Grund dafür, dass du denkst, dass ich Dinge kann, zu denen meine Mutter nicht in der Lage ist.« Ich schnippe mir ein wenig Sand vom Arm. »Wir haben beide Lichthexerväter und Lichthexerpartner. Aber Beck ist stärker als die beiden anderen.«
Henry verzieht das Gesicht. »Ich bin absolut überzeugt, dass du dagegen ankämpfen kannst, wenn du dazu entschlossen bist.«
Ich bedenke meinen Lieblingslehrer mit einem ungläubigen Blick. »Ich bin böse, und das weißt du auch.«
»Nein. Du irrst dich.« Er setzt eine entschlossene Miene auf. »Ich habe dich beschützt. Ich habe das alles getan, weil ich weiß, dass du nicht böse bist. Ich bin vollkommen überzeugt davon, dass du niemandem absichtlich etwas antun wirst.« Bekümmerung schwingt in seinen Worten mit. »Du kannst dagegen ankämpfen.«
Er täuscht sich. Ich will Eamon zerquetschen. Ich will, dass er stirbt.
Und ich will nichts daran ändern. Überhaupt nichts.
Henry legt mir den Arm um die Schulter, und ich schüttle ihn ab. Mein Verstand konzentriert sich auf die zirpenden Grillen in der Wiese unmittelbar hinter der Stelle zwischen den Bäumen, an der wir stehen – das Geräusch wird lauter, sobald er geendet hat. Ringsum wächst und blüht das Leben und bildet einen scharfen Kontrast zu unserem Gespräch.
Tod. Tod und Zerstörung suchen mein Leben immer wieder heim, das wird mir jetzt klar. Erst ist mein Vater gestorben, weil er mir zu nahe war. Und jetzt Beck – auch Beck wird sterben, wenn er in meiner Nähe ist. Die Leute wollen mich entweder umbringen, oder sie wollen, dass ich für sie töte.
Henry umfasst meine Hände mit seinen. Seine Augen mustern meine Finger, bevor er sagt: »Du musst mir etwas verraten, ganz gleich, wie schwer es dir fällt, das zu tun. Verstehst du?«
Die dumpfe Finsternis lastet schwer auf mir. Wie viel schlimmer soll alles denn noch werden?
»Was willst du wissen?« Mein Herz gerät ins Stocken.
»Liebst du Beck?« Seine Stimme ist leise, fast ein Flüstern.
Die Worte treffen mich tief. Mein Herz zieht sich zusammen und wirbelt dann immer schneller. Ich öffne den Mund, aber meine Zähne wirken wie Stacheldraht, und meine Worte sitzen in mir in der Falle.
Der Kampf, der in mir tobt, muss mir am Gesicht abzulesen sein, denn Henry sagt: »Ganz ruhig, Lark. Du schaffst das.«
Gefühle wallen in mir auf. Liebe ich Beck? Die Frage hüpft durch mein Gehirn. »Er ist mir wichtig. Er ist mein bester Freund. Wenn er nicht bei mir ist, bin ich ganz aufgelöst.« Die Worte purzeln aus mir hervor. »Ich will ihn beschützen, damit er in Sicherheit ist. Ich brauche ihn, damit er mich zum Lachen bringt. Ich brauche ihn.«
»Aber liebst du ihn?« Henry umklammert meine Hände fester. Ein kleines Knacken, dann öffnet sich mein Herz.
»Ja«, sprudelt es aus mir hervor. »Ja, ich liebe ihn.«
Die Öffnung schließt sich. Sie brennt und schweißt sich wieder zu.
Henry lässt meine
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