Eiswein (German Edition)
wissen. »Den Mails hier ist zu entnehmen, dass …«
»Was meinen Sie mit ‚heute erst’?«, gab Braunagel jetzt doch reichlich ungehalten zurück. Langsam verlor er die Geduld. Er zählte an den Fingern mit. »Donnerstagabend wurde sie allem Anschein nach ermordet. Am Samstag wurde ihre Leiche gefunden. Am Sonntag kam die Vermisstenanzeige. Da waren wir nachmittags noch in Waldgriesbach und haben mit Karl Mauracher gesprochen, Julia Neubauers Geschäftspartner. Heute ist Montag. Bislang wussten wir ja noch nicht einmal sicher, ob und dass es sich bei der Toten tatsächlich um Julia Neubauer handelt.«
»Außerdem war Christoph Orthler bis gestern Abend auf Geschäftsreise, es hätte wenig genützt, hinzufahren.« Schwarz bemühte sich um einen sachlichen Ton, während er seiner Chefin weiter verklickerte, was sie weshalb getan hatten, und warum sie erst heute zum Weingut des Winzers in Breitenkirchen fuhren.
Braunagel beobachtete belustigt, dass selbst seinem sonst so geduldigen Kollegen offensichtlich die Geduld verging, sachlich zu bleiben.
»Bis Sie ihn befragen können, beschäftigt mich beispielsweise die Frage, ob Sie mit diesem Karl Mauracher darüber gesprochen haben, in welchem Zustand die Leiche gefunden wurde. Vielleicht hätte uns das Aufschluss darüber gegeben, warum sie nackt gefunden wurde.«
Braunagel zog die Augenbrauen hoch. Wie unsensibel war diese Frau eigentlich?
»Nein.«
Annemarie Zeller zuckte unter diesem fast gebellten Wort sichtlich zusammen. Mochte sie doch endlich mal kapieren, wie wenig Ahnung sie von dem hatte, was ihre beiden Kollegen machten.
»Dann wär’ noch interessant zu wissen, wer das Hotel bekommt, nachdem seine Besitzerin tot ist. Vielleicht gibt es da ja einen Zusammenhang.«
Sie gab einfach nicht auf, verstand gar nichts. Diese Zeller verstand es hervorragend, die inzwischen zum Schneiden dicke Spannung zu ignorieren, die in der Luft lag. Braunagel registrierte das zähneknirschend, und Schwarz verdrehte die Augen. »Konnte Ihnen das in Waldgriesbach keiner sagen?«
Schwarz schüttelte den Kopf.
»Wir sind dran.«
»Kriegen Sie’s raus. Kann ja nicht so schwer sein. Sie werden sich dazu wohl den Anwalt dieser Julia vornehmen müssen, der Ihnen vielleicht auch etwas mehr zum angespannten Verhältnis zwischen der Toten und ihrem Exmann erzählen kann.« Ein Blick wanderte von einem zum anderen, der keinerlei Einwände zuließ. »Wenn ich das Protokoll richtig deute, das Sie von Ihrem Gespräch mit diesem Karl Mauracher geführt haben, dürfte das alles für Ihre Ermittlungen recht interessant sein.«
Als sie das Besprechungszimmer verließen, hörten zwei zufällig vorbeikommende Polizisten ihre Kollegen unisono seufzen.
Montag am späten Nachmittag
»Christoph Orthler?« Walter Braunagel hatte den schlanken, hoch aufgewachsenen jungen Mann zuerst gesehen, der gerade aus einem der Nebengebäude des Weinguts auf den Innenhof trat. Er kam auf die beiden zu und blieb abwartend vor ihnen stehen. Braunagel fielen die wachen blauen Augen auf, die ihn unter halblangen, dunkelblonden Haaren interessiert musterten. Er schätzte sein Gegenüber auf Mitte dreißig.
Ein echter Frauentyp.
»Der bin ich. Was gibt’s?«
Die beiden Kommissare stellten sich vor und folgten Christoph in dessen Büro. Es lag im Erdgeschoss des Hauptgebäudes, das eine Seite des Innenhofes begrenzte, während zwei Nebengebäude und eine Backsteinmauer mit riesigem Holztor ein Rechteck dazu bildeten. Das Gut lag etwas außerhalb von Breitenkirchen, ungefähr in der Mitte eines sanft ansteigenden Hügels. Während sich unterhalb der Zufahrt zum Hof bis zu den ersten Häusern von Breitenkirchen wildheckengesäumte Wiesen erstreckten, war hinter den Gebäuden des Gutes ein neu angelegter Weinberg zu sehen, der den Hügel bis zum darüber sichtbaren Waldrand hochkletterte. Links und rechts davon erstreckten sich weitere Weinberge, in denen gerade gearbeitet wurde.
Weinlese vielleicht, überlegte Braunagel, der die Szene interessiert beobachtet hatte.
Das Büro, in das Christoph Orthler sie führte, hatte direkten Zugang zum Hof. Es war sachlich eingerichtet und wirkte sehr aufgeräumt. Nur ein paar Unterlagen und ein Ablagekorb auf dem Schreibtisch bildeten eine gewisse Unordnung, die vom aufgeklappten Laptop auf der rechten Seite der Tischplatte teilweise verdeckt wurde. Daneben lag ein geschlossener schwarzer Bankordner.
»Im Stadtwald auf der anderen Seite der Autobahn wurde vor zwei
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