Eiswein (German Edition)
machten, und ahnten wohl, dass Schwarz das Opfer seines Berufes geworden war. Schwarz genoss es auch hier, bedauert und getröstet zu werden, und Braunagel gönnte ihm diese Aufmerksamkeit schmunzelnd. Spätestens jetzt war ihm klar, warum der Kollege nicht zu Hause bleiben hatte wollen.
»Ich brauche erst mal was Warmes. Ist das vielleicht saukalt da draußen!«, meinte Schwarz, nachdem sich schließlich niemand mehr um ihn kümmerte, und nippte an seinem Cappuccino.
»Keine Angst«, grinste Braunagel ihn an, und kratzte mit der Gabel sorgfältig die letzten Reste seines Lieblingskuchens vom Teller. »Ich hab schon verstanden. Du kannst nachher ja im Auto sitzen bleiben, so lange ich im Wald unterwegs bin.«
Er warf einen Blick zu Simone hinüber, die ihm kurz zuzwinkerte, bevor sie der Dame vor dem Tresen ein Stück Kuchen aushändigte, und sich dann dem nächsten Gast zuwandte. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er hinter ihren Gesichtszügen das Lächeln einer anderen Frau zu erkennen, das ihn aufzufordern schien, sie endlich loszulassen. Alina. Warum nur tat es immer noch so weh, an sie zu denken, und warum nur dachte er denn immer wieder an sie?
Christoph Orthler fiel ihm ein, und er begann zu ahnen, was in dem jungen Mann vor sich gehen musste, der sich nach außen hin so cool gab. ‚Jeder Abschied ist ein kleines bisschen sterben.’ Antoine de Saint-Exupéry hatte garantiert gewusst, wovon er sprach, als ihm dieser gescheite Satz einfiel.
Braunagel sah kurz zu Schwarz hinüber.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er ihn.
»Wird schon«, gab Schwarz zurück und leerte seine Tasse in einem Zug. Dabei behielt er einen kleinen Milchbart auf der Oberlippe zurück.
»Hast du ein Auto?«
»Klar. Unseren schicken neuen BMW.« Schwarz holte den Schlüssel zu dem Wagen aus der Hosentasche. »Ich fahre. Du löst inzwischen die Knoten in deinem Kopf.«
»Und du wischst dir den Milchschaum von der Oberlippe. Das sieht ja vielleicht aus!«
Freitagmittag
Sie waren zum Gut gefahren, hatten kurz am Tor angehalten, wo Julias Auto während ihres Gesprächs mit Christoph gestanden haben musste. Dann hatten sie gewendet und auf den Weg nach Breitenkirchen gemacht. Während Schwarz am Steuer des ‚schicken neuen BMWs’ saß, starrte Braunagel schweigend aus dem Fenster, als versuche er, Julia auf diese Weise näher zu kommen. Schwarz kannte das und warf nur ab und zu einen Blick zu seinem Kollegen hinüber, der ihn per Handzeichen durch den Ort dirigierte. Schließlich standen sie vor dem Goldenen Bären .
»Lass uns zum Stadtcafé gehen und dann wieder nach hierher zurückkommen«, bat Braunagel, und Schwarz folgte ihm, nachdem er den Wagen abgeschlossen hatte. Nach einem längeren Gespräch mit der Inhaberin des Cafés, zwei Cappuccini und einem Bienenstich für Braunagel waren sie wieder zurück.
»Ich möchte noch einmal mit den Leuten im Gasthof reden«, erklärte Walter Braunagel, warum er auf die wuchtige, mit einem Relief aus Tierornamenten geschmückte Tür des Goldenen Bären zusteuerte.
Sie hatten Glück. Die junge Dame, die am Mordtag Dienst gehabt hatte, war heute auch da und bat sie in das kleine Büro hinter der Rezeption.
Auch dieses Mal erfuhren die beiden Beamten nicht mehr als beim ersten Besuch, und die junge Dame konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, jemanden in Julia Neubauers Nähe gesehen zu haben. Auch ein Christoph Orthler oder jemand, auf den diese Beschreibung gepasst hätte, war nicht mitgekommen. Jemand, der auf die Beschreibung Robert Steiners gepasst hätte, war ihr ebenfalls nicht aufgefallen. Dass dem jungen Winzer die zweite Reservierung für den Tisch am darauf folgenden Tag gegolten hatte, hatte sie erst erfahren, als die Kripo sie wegen dieser Buchung befragte. Ein anderes Mädchen hatte Dienst gehabt, als Christoph Orthler nach der Tischreservierung fragte.
Julia hatte an diesem Abend nicht im Restaurant des Gasthofes gegessen, soviel wusste sie, und niemandem war aufgefallen, als sie wegging. Die Rezeption war ab 19 Uhr nicht mehr besetzt gewesen, alle Übernachtungsgäste hatten einen Hausschlüssel. Da Julia den Gasthof auch nicht durch das angeschlossene Restaurant verlassen hatte, war nicht nachzuvollziehen, wann genau sie zu ihrem Waldlauf aufgebrochen war. Klar war nur: Es musste nach 19 Uhr gewesen sein.
Die beiden Männer verabschiedeten sich von der jungen Dame und fuhren den Hang zwischen den Weinbergen hinauf, an dessen Kuppe entlang
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