Eiszart
Leibeskräften, aber der Graf reagierte nicht. Vielleicht hatte ihn der Wirbel längst erfasst und ihn mitsamt seinem Pferd davongetragen. Sie taumelte, stolperte, zog sich am Stamm einer Lärche wieder hoch, als sie merkte, dass ihre Kerze fort war! Panisch suchte sie am Boden nach ihrem wertvollsten Besitz, doch sie konnte die Kerze nirgendwo finden. Alles war weiß. Überall weiß. Als hätte die Welt sich aufgelöst. Sie geriet in Panik, irrte umher. Doch es gab kein Entrinnen vor den eisigen Klauen des Schneesturms.
Da berührten ihre zitternden Finger, die von der Kälte schon ganz blau waren, einen edlen Stiefel. Sie blickte zu dem Mann hoch, der vor ihr stand.
»Vesna«, flüsterte sie erleichtert. Aber das Gesicht des Mannes, auch wenn es demjenigen Vesnas ähnelte, gehörte einem anderen.
Erschrocken wich sie vor Moroz zurück. »Was wollt Ihr von mir? Wie habt Ihr mich hier gefunden?«
»Ich warnte dich, besser umzukehren. Warum hast du nicht auf mich gehört?«
Sie hielt inne, blickte auf die Schneeflocken, die plötzlich langsamer um sie herumtanzten. »Der Sturm hätte dich in Stücke reißen können.« Aber Zima hatte ihn gebändigt. Und sie dadurch gerettet.
Ein Lächeln schlich sich auf Graf Zimas Gesicht. »Dachtest du, ich wollte dir schaden? Ich begehre dich, Veruschka. Mehr als ich jemals zuvor ein anderes Wesen begehrt habe. Das sagte ich dir doch. Wie hätte ich zulassen können, dass du in meiner Welt umkommst?«
»Aber den Sturm hast du mir doch geschickt.«
»Nein, die Stürme entwickeln ein Eigenleben. Ich kann sie nur kontrollieren, wenn ich in ihrer Nähe bin.«
Konnte sie ihm das glauben?
»Kehre mit mir zurück in mein Schloss. Dort bist du in Sicherheit.«
Er hielt ihr die Hand hin, und es war verführerisch, sie einfach anzunehmen. Seinen schönen Worten zu glauben. Langsam streckte sie den Arm aus, ihre Fingerspitzen berührten fast seine Handfläche, als sich Graf Zimas Gesicht plötzlich schmerzvoll verzerrte. Veruschka wich erschrocken zurück. Erst da sah sie die glänzende Spitze eines Degens, die aus Moroz’ Brust ragte.
»Nein!«, schrie sie auf.
Vesna zog den Degen aus dem Rücken seines Bruders, in der anderen Hand hielt er Veruschkas Kerze, die unverändert brannte. Moroz aber sank in den Schnee, der sich allmählich blau unter ihm färbte, und Veruschka stürzte zu ihm hin. Blaues Blut! Nein, Moroz war gewiss kein Mensch. Ihre Kehle wurde trocken, ihr Herz flatterte. Der Schnee tanzte wieder schneller und schneller, drehte unzählige Pirouetten. Und auch der Sturm würde bald zurückkehren.
»Er wollte mir nichts tun. Er hat mich gerettet!«, schrie sie Vesna an, ergriff Moroz’ Hand und hielt sie fest. Sie war eiskalt. Noch viel kälter als zuvor.
»Ich muss zurückkehren«, hauchte er geschwächt. »Nur im Schloss kann ich regenerieren.« Der Griff seiner Hand um ihre wurde fester. »Du musst mit mir kommen, denn ich werde den Sturm nicht mehr lange aufhalten können.«
»Tu es nicht«, warnte Vesna. »Er lockt dich in eine Falle.« Aber Veruschka hatte sich längst entschieden. Sie nahm Vesna die Kerze ab.
»Sieh dich um, willst du in ewiger Kälte leben? Der Winter saugt der Welt das Leben aus. So wird er es auch mit dir tun. Das liegt in seiner Natur. Und wenn der Zyklus seiner Herrschaft endet, bin ich es, der alles wieder aufbaut. Doch für dich ist es dann zu spät«, warnte Vesna.
Veruschka hörte ihm aber nicht zu, strich stattdessen durch Zimas weiße Haare. »Bring uns zu deinem Schloss, ich folge dir«, flüsterte sie, und ihr Herz klopfte vor Angst um ihn.
Ein Lächeln bildete sich auf Moroz’ feinen Zügen. Im nächsten Augenblick löste er sich auf – und sie mit ihm.
***
Als Veruschka wieder zu sich kam, war es, als hätte sie nur geträumt. Doch kaum, dass sie die Augen aufgeschlagen hatte, erblickte sie den hochherrschaftlichen Saal. Da wusste sie, dass nichts von dem, was sie gesehen hatte, ein Traum gewesen war. Sie befand sich im Reich des Winters.
»Wie geht es dir, meine Schöne?«, erklang seine sanfte Stimme an ihrem Ohr. Moroz lag neben ihr im Bett. Sein kalter Atem strich über ihren nackten Oberarm.
Sie wollte fragen, wo ihre Kerze war, aber da erblickte sie diese auf dem Nachtschränkchen. Immer noch lag die Glashaube schützend auf ihr.
»Es geht mir gut. Und dir?«
»Meine Wunde ist verheilt. Vesna muss sich noch ein wenig in Geduld üben, ehe er den Thron besteigen kann. Bis dahin bleibt uns Zeit.«
Er strich
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