Eiszeit
irgendwelche Anlaufstationen, wo man fragen könnte?«, bohrte Hain nach. Just winkte ab.
»In der kalten Jahreszeit vielleicht, aber nicht im Hochsommer, das können Sie vergessen. Im Moment kann man sich im See oder im Fluss waschen, wenn es denn notwendig erscheint, und zu essen bietet die Natur ebenfalls reichlich. Auch das Schlafen unter freiem Himmel ist kein Thema.«
Wieder dachte er einen Moment nach.
»Versuchen Sie es mal in der Markthalle. Dort verkauft ein Mann den Tagessatz, das Magazin der Obdachlosen. Er heißt Heinz Winterschied . Vielleicht kann der Ihnen helfen. Grüßen Sie ihn von mir und richten Sie ihm aus, dass ich Sie geschickt habe, das könnte helfen.«
Die beiden Polizisten bedankten sich, verließen das Büro, fuhren zur Markthalle und genehmigten sich am Stand des Italieners zuerst einen Kaffee.
»Hier soll ein Mann den Tagessatz, die Obdachlosenzeitung, verkaufen, Enzo «, sprach der Hauptkommissar den jungen Italiener hinter der Theke an, während er die Tassen auf den Wagen für das schmutzige Geschirr stellte.
» Scuso , Commissario ? Was soll der machen?«
»Der läuft vermutlich hier rum, mit einer Zeitschrift in der Hand, die er verkaufen will.«
»Ah, si , den kenne ich.« Der Italiener sah sich um. »Aber heute habe ich ihn noch nicht gesehen. Normalerweise ist er freitags und samstags hier, aber heute?« Er zuckte mit den Schultern.
»Läuft er hier rum oder sitzt er irgendwo, wenn er da ist?«
»No, der läuft meistens rum. Wenn schönes Wetter ist, so wie heute, sitzt er aber auch manchmal vor der Tür.«
Lenz bedankte sich, gab Hain einen Wink und ging Richtung Ausgang. Als die beiden in der Sonne standen, kam ein etwa 55 Jahre alter Mann mit einem Paket Zeitschriften im Arm über die Freifläche auf den Eingang zugeschlendert.
»Das passt ja«, bemerkte Hain.
»Vielleicht, wenn er es denn ist«, bremste der Hauptkommissar die Euphorie seines Kollegen.
»Herr Winterschied ?«, sprach Lenz den Mann vorsichtig an, als der an ihnen vorbeiging.
»Ja«, antwortete er freundlich und schob seine Sonnenbrille in die Haare. »Was kann ich für die Herren Polizisten tun?«
Lenz hielt ihm die Hand hin und stellte sich und Hain vor. »Allerdings macht es mich schon stutzig, dass wir auf den ersten Blick als Bullen zu erkennen sind«, fügte er hinzu.
»Bullen haben jetzt Sie gesagt«, erwiderte Winterschied grinsend. »Und nehmen Sie es einfach als Kompliment.«
»Gerne. Dieter Just vom Ordnungsamt hat uns zu Ihnen geschickt, weil er meint, dass Sie uns vielleicht mit einer Information helfen können. Wir suchen einen Obdachlosen, einen gewissen Waldemar.«
Winterschied blickte erstaunt von einem zum anderen. »Waldemar, soso. Da sind sie aber nicht die Einzigen, die nach ihm suchen, wie ich so höre.«
Nun tauschten die beiden Polizisten einen irritierten Blick.
»Wer sucht ihn denn noch außer uns«, wollte Hain wissen.
»Zwei Kerle. Aber sie wissen nicht, dass sie konkret ihn suchen. Die rennen in der Stadt rum und fragen jeden, der wie ein Obdachloser aussieht oder riecht, nach einem, der Tolstoi liest.«
»Und woher haben Sie das?«
»Ach, was glauben Sie denn? Kassel ist ein Dorf, solche Geschichten sprechen sich in Windeseile rum. Und ich bin eine Anlaufstelle für Informationen. Deshalb hat Dieter Sie doch sicher zu mir geschickt und nicht woandershin.«
»Das kann sein. Wie sahen die beiden denn aus, die diesen Waldemar suchen?«
»Ich hab sie ja nicht gesehen, aber der, von dem ich es habe, hat mir gesagt, dass er denen nicht mal erzählen würde, wie sie zum Bahnhof kommen. Zwei Typen in dunklen Anzügen, gegelte Haare inklusive.«
»Haben sie gesagt, warum sie nach Waldemar suchen?«
»Angeblich wegen einer Erbschaft. Er hätte etwas vererbt bekommen.«
»Hm«, machte Lenz. »Meinen Sie, wir können mit dem Herrn sprechen, von dem Sie die Information haben? Ob wir vielleicht Phantombilder der beiden erstellen können mit seiner Hilfe?«
Winterschied nickte. »Das kriegen wir hin. Aber zuerst könnten Sie mir erzählen, warum Sie Waldemar suchen und was Sie von ihm wollen.«
Lenz brauchte einen kleinen Moment, bevor er antwortete.
»Offenbar hat dieser Waldemar etwas gesehen, das er besser nicht gesehen hätte. Mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen. Aber es wäre sicher nicht gut für ihn, wenn die anderen ihn vor uns finden würden.«
»Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Wenn der Waldemar nicht gefunden werden will, dann wird er nicht
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