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Eiszeit

Eiszeit

Titel: Eiszeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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den Abmessungen an einen Sarg erinnerte. Neben dem aufgeklappten Schlafsack entdeckte Lenz eine Kerze, einen Tabaksbeutel, eine halb geleerte Weinflasche und das abgegriffene, vergilbte Buch ohne Deckel, das Hain in Erstaunen versetzt hatte. Daneben lag der Sportteil der Lokalzeitung vom Vortag. Lenz zog ein paar Einweghandschuhe aus der Tasche, griff nach dem Buch, hob es hoch und studierte die erste Seite. Unter den kyrillischen Schriftzeichen stand in Klammern ›War and Peace ‹, also ›Krieg und Frieden‹. Er blätterte die dünnen Seiten durch, aber es gab nirgendwo einen Hinweis auf den Besitzer. Deshalb legte er das Werk zurück.
    »Sieht nach überstürztem Aufbruch aus, was meint ihr?«, fragte der Hauptkommissar rhetorisch, weshalb keiner seiner beiden Kollegen sich bemüßigt fühlte zu antworten.
    »Da muss der Heini mit seinen Jungs auch noch drübergehen . Vielleicht haben wir ja Glück und sie finden einen Fingerabdruck, mit dem sich was anfangen lässt«, fuhr Lenz ungerührt fort.
    Dann wandte er sich nach links, sah über die etwa 40 Parkplätze und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    »Wenn er stiften gegangen ist, weil sich hier im Hof was abgespielt hat, in welche Richtung wird er wohl gelaufen sein?«
    Hain trat in die Mitte des Platzes und betrachtete die Szenerie. »Das hab ich mich vorhin auch schon gefragt.« Er deutete nach links, wo es zwischen Hauswand und Parkplatz einen schmalen Plattenweg gab. »Zum einen kann er dort abgehauen sein, zum anderen über den Hauptausgang. Eine weitere Möglichkeit hatte er nicht.«
    »Stimmt«, bestätigte Gecks . »Aber warum sollte er sein Domizil überhaupt verlassen haben? Ich sehe hier keine Leuchte, also liegt er da unten doch sicher wie in Abrahams Schoß.«
    »Es sei denn, er hat was gehört, das ihm einen ordentlichen Schrecken eingejagt hat. Zum Beispiel ein paar Schüsse.«
    »Stimmt, die könnten ihn vertrieben haben«, mischte Lenz sich ein. »Allerdings könnten ihn auch viele andere Dinge vertrieben haben. Berber sind extrem vorsichtige Zeitgenossen.«
    »Und sie sind immer darauf bedacht, ihre Siebensachen möglichst nicht zu verlieren, was gegen deine These spricht«, gab Hain zu bedenken. »Ich glaube, er hat was gehört, das ihm ganz und gar nicht gefallen hat, und ist in Panik abgehauen.«
    »Was bedeuten könnte, dass er den oder die Täter zumindest kommen sah.«
    »Gut möglich.«
    »Also suchen wir nach einem Berber, dem sein Nachtzeug, sein Rauchzeug und sein Lesezeug fehlen.«
    »Vielleicht müssen wir gar nicht nach ihm suchen. Es könnte durchaus sein, dass er in einer der kommenden Nächte zurückkommt, um sich sein Zeug zu holen«, führte Lenz den Gedanken fort.
    »Gute Idee. Also lassen wir den Hof observieren?«
    Der Hauptkommissar nickte. »Wir sollten Heini allerdings klarmachen, dass er und seine Jungs nach getaner Arbeit alles wieder so dekorieren müssen, wie sie es vorgefunden haben.« Er nahm erneut die Hand vor die Stirn, um seine Augen vor der Helligkeit zu schützen, und betrachtete das Gebäude. Der hintere Teil war längst nicht in so gutem Zustand wie die Front. Überall bröckelte der gelb angestrichene Putz und zwei hässliche Rostnasen von der defekten Dachrinne liefen über die komplette Höhe. Manche der Fenster waren mit Zeitungspapier beklebt, bei anderen erschwerten Malereien den Einblick. Vorhänge waren nirgendwo mehr zu sehen. Lenz ging nach links, trat an die Hauswand und betrachtete den morschen Putz. Dann bewegte er sich langsam nach rechts, ohne die Fassade aus den Augen zu lassen. Hain und Gecks waren irritiert.
    »Können wir dir helfen?«, fragte der Oberkommissar.
    »Nein, ich bin gleich durch. Wenn ich fertig bin, gehen wir rein und sprechen mit Heini.« Er setzte seinen Weg bis zur Hausecke fort, wandte sich nach rechts und nahm Kurs auf die Schranke in der Einfahrt, immer noch auf die Fassade fixiert. Kurz vor dem Ende blieb er wie angewachsen stehen und beugte sich nach vorne. »Kommt mal her!«, forderte er seine Kollegen erregt auf und deutete auf ein kleines Loch im Putz. Hain und Gecks setzten sich in Bewegung, postierten sich neben ihm und betrachteten ebenfalls das Loch in etwa zwei Metern Höhe.
    »Du bist schon ein Fuchs«, entfuhr es Hain anerkennend. »Was um alles in der Welt hat dich denn darauf gebracht?«
    »Reine Intuition«, erwiderte Lenz und zog ein kleines Schweizer Messer aus der Tasche. »Wir brauchen eine Leiter. Oder einen Stuhl.«
    Gecks sprang auf den

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