Eitle Liebe: Wie narzisstische Beziehungen scheitern oder gelingen können (German Edition)
haben und nicht Frau werden zu müssen. Oder sie leben ein Zerrbild von Weiblichkeit, was für die Ess-Brechsucht charakteristisch ist. Diese Frauen legen viel Wert auf ihre Attraktivität, auf einen schlanken Körper und ein perfektes Äußeres, da sie glauben, das mache ihre Weiblichkeit und Anziehung aus. Ihre Beziehungen sind geprägt durch einen Wechsel von zu großer Nähe und extremer Distanz und brechen meist dann ab, wenn es ernst wird oder sie kommen erst gar nicht zustande. Eine ausführliche Darstellung dieser Beziehungsdynamik finden Sie in meinem Buch Weiblicher Narzissmus – der Hunger nach Anerkennung.
Narziss und Echo sind exemplarisch für diese Art der Begegnung: Die Nymphe Echo war von Hera mit dem Verlust ihrer Sprache bestraft worden und konnte nur noch die Rufe anderer nachschwätzen. Sie hatte nämlich Hera einst mit langen Geschichten unterhalten, sodass die Konkubinen des Zeus, Heras Gemahl, ihrem eifersüchtigen Auge entwischen konnten.
Echo verliebte sich in Narziss, wie so viele andere vor und nach ihr. Kaum hatte Echo Narziss erblickt, der abseits des Weges durch das Gelände streifte, entbrannte ihr Herz in Liebe. Sie folgte ihm verstohlen, und je länger sie ihm folgte, desto mehr ließ seine Nähe sie erglühen, so wie eine leicht entzündliche Fackel. Oh, wie oft wollte sie sich ihm mit liebevollen Worten nähern und ihn durch Bitten erweichen! Doch sie konnte das Gespräch nicht selbst beginnen, da sie auf seine Worte warten musste, auf die sie nur antworten konnte.
Endlich rief Narziss, als er sich verirrt hatte: »Ist jemand hier?«
»Hier«, antwortete Echo zu seiner Verwunderung, da er niemanden sehen konnte. Er staunte, ließ den Blick überallhin schweifen und rief mit lauter Stimme:
»Komm!«
»Komm!«, echote sie.
»Warum meidest du mich?«
»Warum meidest du mich?«
»Lass uns hier zusammenkommen.«
Auf keinen Ausspruch hätte Echo jemals lieber geantwortet.
»Lass uns hier zusammenkommen«, wiederholte Echo und rannte voller Freude aus ihrem Versteck, um ihn zu umarmen. Roh schüttelte er sie ab und lief davon.
»Hände weg, lass die Umarmungen! Eher will ich sterben als dir gehören«, rief er.
»Dir gehören«, flehte Echo. Doch Narziss war bereits fort.
Die Verschmähte hielt sich im Walde versteckt, verbarg schamhaft das Gesicht im Laub und lebte von nun an in einsamen Höhlen. Doch ihre Liebe blieb und wuchs aus dem Schmerz über die Zurückweisung. Sie verzehrte sich aus Gram, magerte ab und siechte vor Liebeskummer dahin. Die Magerkeit ließ ihre Haut schrumpfen, dem Körper entschwand alle Kraft, bis von ihr nur die Stimme blieb. 46
Echo erinnert stark an Frauen mit einer weiblich-narzisstischen Persönlichkeit. Sie verklären den Mann, himmeln ihn an, oft sogar aus der Ferne, und warten passiv darauf, von ihm wahrgenommen zu werden. Sie reagieren nur, echoen, was von ihm kommt, ohne Eigeninitiative und eigenen Standpunkt. Sie stellen eine intime Nähe her, obwohl gar keine Basis dazu vorhanden ist. Echo kennt Narziss nicht, will ihn aber gleich bei der ersten Begegnung umarmen. Das wirkt sehr besitzergreifend und anklammernd, als habe sie keine Grenzen und respektiere auch die des anderen nicht. Für sie ist es anders, denn durch das Hinsehnen und Anhimmeln hat sie innerlich schon eine Beziehung zu ihm hergestellt, die zwar real nicht existiert, für sie aber bereits ein Teil ihrer Wirklichkeit ist. Möglicherweise schon eine geraume Zeit lang. Dieses Missverständnis verhindert eine reale Beziehung, denn das Gegenüber weiß nicht, wie ihm geschieht. Der Mann fühlt sich vereinnahmt, überwältigt und bekommt Angst. Sein Rückzug und seine Abwehr sind ein Schutz und zugleich Ausdruck seiner eigenen Unfähigkeit, sich einzulassen. Er hat Angst, aufgefressen zu werden und seine Identität zu verlieren.
In dem Dialog zwischen Narziss und Echo wird deutlich, wie die Kommunikation getragen ist von Hoffnung und Sehnsucht. Sie hört, was sie hören will, blendet aus, was unangenehm ist, und entwirft sich auch hier wieder ihre eigene Realität. Die Enttäuschung und Beschämung sind groß, wenn sie verlassen wird. Wo hat sie hingeschaut, welche Signale haben ihr Nähe versprochen, die nicht da ist, was hat sie übersehen? Auch hier finden wir wieder das weiblich-narzisstische Muster: Sie wollte zu schnell zu viel, hat nicht geprüft, sondern ist ihrer Illusion von Beziehung erlegen, statt die reale Begegnung wahrzunehmen.
Auch Narziss ist nicht im Kontakt
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