El Silbador
konnte ahnen,
daß dieses Weib den Satan im Leibe hat?«
»Ich«, sagte Michel bescheiden.
»Ah, und warum habt Ihr uns nicht gewarnt?«
»Ihr hättet mir nicht geglaubt. Das werdet Ihr zugeben, wenn Ihr ehrlich seid.« »Hm«, brummte der Kapitän.
»Äh — sagt einmal, meine Herren — äh — was gibt es eigentlich?« ließ sich Rittmeister Eberstein vernehmen, der kein Wort von der Unterhaltung verstanden hatte. »Demonio«, rief der Kapitän, »wer spricht denn hier so ein Kauderwelsch, das kein Mensch verstehen kann?«
»Es ist der Führer der Gefangenen«, antwortete Michel.
Michel berichtete dem Grafen vom Inhalt der Unterredung.
»So sollen alle meine Musketiere aufgehängt werden?« fragte er erschüttert.
»Das wird sich nicht vermeiden lassen; Piratenrecht ist hart und grausam.«
»Da habt Ihr uns schön in die Falle gelockt, Doktor. Wir vertrauten auf Euer Versprechen. Sonst
hätten wir uns nicht ergeben.«
Michel schwieg. Was einem doch alles passieren konnte, wenn man sich für die Menschlichkeit einsetzte! Würde es auf der Welt immer so bleiben, daß das Schlechte die Oberhand behielt? Verlohnte es sich dann überhaupt noch zu leben?
»Wir sind übrigens nicht die einzigen, die man gefangen hat«, unterbrach Jardin Michels Gedankengänge. »Neben uns in dem kleinen Karzer sitzen Ojo und Deste, von denen die entzückende Marina ebenfalls behauptete, daß sie von Euch verhext seien.«
»Seid ihr eigentlich an die Wand geschlossen oder nur gefesselt?« fragte Michel unvermittelt. Ihm war eine Idee gekommen. Wenn alle Korsaren tatsächlich von seinen übernatürlichen Kräften überzeugt waren, so müßte es doch einen Weg geben, sie zu verblüffen. »Nein«, sagte der Kapitän. »Ich habe meine Fessel schon so weit gelockert, daß ich sie nur noch abzustreifen brauche. Aber was soll das nützen? Wir können doch nicht vom Schiff kommen. Lebendig wenigstens nicht. Außerdem sind wir noch ein ganzes Stück vom Hafen entfernt. Ich — verdammt«, unterbrach er sich plötzlich, »merkt ihr nichts, Senores?« Er richtete sich mühsam auf und lehnte sich an die Wand. Da fuhr auch Jardin auf. »Was habt Ihr?« fragte Michel gespannt.
»Bei meinem Barte«, murmelte der Kapitän. »Sie ändern den Kurs! Man hört es am Gang des Ruders in den Wellen.«
»Tausend Donner, sie schwenken immer noch! Ja, spürt Ihr es, Capitan? Fühlt Ihr nicht die allmähliche Drehung, Senor Baum?«
»Ich verstehe von diesen Dingen nichts. Ich bin ja zum erstenmal auf See.«
»Jetzt haben sie Nordkurs. Tatsächlich, genau neunzig Grad betrug die Schwenkung«, meinte
Jardin.
»Das heißt also«, sagte Michel, »daß wir Codrington nicht anlaufen, wie?« »Si, Senor, genau das. Sie suchen die offene See zu gewinnen.«
»Könnt Ihr Euch das erklären?« fragte Michel. »Sie können doch nicht mit der englischen Fregatte im Schlepp auf Kaperfahrt gehen?«
»Die werden sie bei nächster Gelegenheit schwimmen lassen«, sagte der Kleine. »Ich nehme an, sie wollen
den Hafen vermeiden, bis sie die Gefangenen abgemurkst, beraubt und ins Meer geworfen haben. Paßt auf, die Metzelei wird nicht lange auf sich warten lassen.«
Als ob sich seine Worte bestätigen sollten, öffnete sich jetzt die Karzertür.
Marina erschien, begleitet von zwei Wachen, die diesmal keine Hellebarden trugen, sondern Pistolen im Anschlag hielten.
»Kommt heraus, Silbador«, befahl die Gräfin.
Michel rührte sich nicht.
Marina wiederholte ihren Befehl und fügte hinzu: »Wenn Ihr nicht gehorcht, lasse ich Euch aufhängen.«
»Wie könnt Ihr das tun, Marina? Ihr liebt mich doch. Was hättet Ihr von mir, wenn ich eine Leiche wäre?«
Das war peinlich. Es war mehr als ein Regiefehler, daß die beiden Wächter die Worte des Silbador verstanden hatten. Aber Marina wußte auch diese Situation zu retten. Voller Hohn antwortete sie:
»Ihr scheint Euch einzubilden, daß Euer Zauber immer noch auf mich wirkt. Nun, das ist vorbei. Wenn ich je eine Zuneigung zu Euch hatte, so nur, weil Ihr mich mit Euren teuflischen Künsten bestricktet. — Adelante!« fuhr sie die Wachen an, »bringt den Kerl in meine Kabine, tot oder lebendig.«
Die Korsaren gehorchten eifrig. Sie entzündeten eine Kerze, packten Michel und schleppten ihn hinaus.
»Eberstein«, rief dieser noch auf deutsch, »versucht doch den ändern klarzumachen, daß sie sich von ihren Fesseln befreien sollen. Wahrscheinlich gibt es doch noch einen Weg in die Freiheit.« »Maul halten!«
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