Elben Drachen Schatten
kennen gelernt haben. Vielleicht auch fürchtet meine Seele, dass sie nach Maldrana, ins Land der Vergessenen Schatten, verbannt wird, wenn mein Körper einst sein Grab in einer dunklen See anstatt in einem blühenden Land findet.«
Fürst Bolandor begegnete kühl dem Blick des Schamanen. »Ihr verratet die Ahnen ebenso, wie König Keandir es tut«, warf er Brass Elimbor vor. »Ihr erzählt, Ihr hättet die Namenlosen Götter und die Ahnen beschworen und mit ihnen gesprochen. Diese Beschwörung habt Ihr wohl auf Eurem Schiff unter Deck durchgeführt, und es gibt keine Zeugen dafür. Ich habe allerdings den Verdacht, dass Ihr in Wahrheit Eure Fähigkeit, mit den Jenseitigen in Kontakt zu treten, längst verloren habt und diese Tatsache nur vor uns verbergen wollt!« Seine Stimme wurde laut. »Darum heult Ihr mit den Wölfen! Darum wählt auch Ihr den leichteren Weg! Darum übt Ihr Verrat an allem, an das wir je geglaubt haben und …«
»Fürst Bolandor!«, fiel Keandir ihm mit strenger Stimme ins Wort. »Ihr vergesst Euch! Es steht Euch nicht zu, derart mit einem Brass zu sprechen! Und die Anschuldigungen, die Ihr gegen Brass Elimbor erhebt, sind unerhört! Ich weiß, Ihr habt einen schweren Verlust erlitten, Fürst Bolandor. Aber nur schwerlich entschuldigt dies Euer Verhalten vor dieser hohen Versammlung!«
Keandir sah, wie der Fürst schlagartig kreideweiß wurde im ohnehin schon blassen Gesicht, und er befürchtete, einen üblen Fehler begannen zu haben, indem er auf Bolandors von ihm getöteten Sohn angespielt hatte.
Doch bevor Bolandor darauf reagieren konnte, ergriff Brass Elimbor wieder das Wort. Er sprach ruhig, und dennoch war da ein leises Zittern in seiner Stimme, das bewies, wie sehr ihn Bolandors Anschuldigung erregte. Er war sichtlich darum bemüht, nicht die Fassung zu verlieren, als er sagte: »Ihr wollt den Beweis, mein Fürst?«
Er erhob sich, trat zwischen den Tischen in die Mitte des Kreises auf den Altar zu und nahm die beiden Zauberstäbe des Augenlosen Sehers. Mit einem Schwung, dem man dem alten Elben kaum zugetraut hätte, warf er die langen Stäbe nacheinander Thamandor zu, der sie geschickt auffing. Dann streckte er die Hände aus, sodass sie sich wie ein Schirm über die Elbensteine wölbten. Dürre Hände waren es, fast skelettartig. Das Licht der Elbensteine wurde stärker, und ein grellweißer Lichtball entstand unter den Händen des Schamanen. Er wuchs. Brass Elimbor trat zurück, und Keandir und Fürst Bolandor machten ihm Platz. Dann hob der Schamane die Handflächen gegen den Himmel. Der Lichtball dehnte sich weiter aus und glich einer Blase, die bald einen leuchtenden Ballon bildete. Auf der Oberfläche dieser Lichtblase erschienen schattenhafte Strukturen. Bilder, die schlaglichtartig auftauchten und wieder verschwanden. Doch die Augen der Elben sahen dennoch, was dort gezeigt wurde, und ein Chor von Stimmen erhob sich, murmelnd und raunend.
Doch dieser Chor wurde nicht gebildet von den überraschten Zuschauern oder den Mitgliedern des Kronrats; es waren die Stimmen der Eldran, deren Gestalten in der Lichtblase immer wieder kurz zu sehen waren, die hin und her huschten und Nebelschaden glichen, die urplötzlich entstanden, um sogleich wieder von einem Sturmwind auseinander gerissen zu werden. Die schemenhaften Gestalten der Namenlosen Götter hingegen schwiegen, und die Maladran blieben völlig im Hintergrund.
Das geisterhafte Spektakel dauerte nur wenige Augenblicke. Dann fiel die Blase wieder in sich zusammen, und Brass Elimbor sank zitternd auf die Knie. Der uralten Schamanen hatte sich offenbar vollkommen verausgabt. Fürst Bolandor und Keandir wollten ihm aufhelfen, aber Brass Elimbor wehrte ihre Hilfe schroff ab. Er atmete schwer und erhob sich wieder.
»Es tut mir leid, aber ich konnte nicht verstehen, was die Jenseitigen geäußert haben«, erklärte Kapitän Garanthor.
»Jeder mag sie so verstehen, wie er möchte«, sagte Brass Elimbor, nachdem er sich etwas erholt hatte. »Und das bedeutet, dass König Keandir recht hat: Unser Schicksal ist nicht mehr vorherbestimmt.« Er wandte sich an Fürst Bolandor. »Ihr wolltet einen Beweis. Jetzt habt Ihr ihn. Legt ihn für Euch aus, wie Ihr wollt.«
»Die Entscheidung ist somit gefällt«, sagte Keandir. »Wer mit mir hier bleiben möchte, bei seinem König, und helfen will, Elbiana zu errichten, der bleibe – und Euch, Fürst Bolandor, steht es frei, mit Euren Getreuen weiterhin dem Traum von Bathranor zu folgen.«
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