Elben Drachen Schatten
schier erstarren ließ. Lakyr setzte seine Katze auf den Boden und trat zum Kaminfeuer. Es schien ein normales Feuer zu sein, denn es wärmte. Der Mann aus Thorkyr hielt seine Hände darüber und sog die Wärme gierig in sich auf. Gialbeth trat ans Fenster und blickte auf den düsteren Burg- hof. Er sah den Brunnen, in dem aber schon seit langem kein Wasser mehr war und er sah das offene Burgtor, das langsam vor sich hin moderte.
"Wo mag nur der Besitzer dieses ganzen sein?", fragte Lakyr leise.
"Der bin ich!", antwortete eine fremdartig klingende Stimme. Lakyr und Gialbeth wirbelten fast gleichzeitig herum. Eine düstere, in einen dunklen Mantel gehüllte Gestalt war aus dem Schatten einer Nische getreten. Graue Haare wehten im eisigen Wind.
"Ihr wart es, den wir am Fenster stehen sahen, nicht wahr?", erkundigte sich Gialbeth. Der Grauhaarige nickte.
"Ja, Ihr habt recht. Was führt Euch zu mir?" Lakyr ging nicht auf die Frage des Burgherrn ein.
"Ihr seid Retned? Der schreckliche Retned, den man im Rattentempel von Ghormall verehrt?", fragte er. Aber der Grauhaarige schüttelte den Kopf.
"Nein. Wie kommt Ihr dazu, solches zu vermuten? Ich bin Trucad von Dralk, der Herr dieser Burg!" Mit einem Seufzer der Erleichterung steckte nun auch Gialbeth sein Schwert weg.
"Ihr seid der einzige, der auf dieser Burg lebt?", fragte Lakyr. Trucads Gesicht wurde noch düsterer, als es schon war. Seine Stirn bekam tiefe Falten und seine Augenbrauen (sie waren buschig und grau) zogen sich bedrohend zusammen. Seine Augen waren traurig.
"Einst hatte ich Knechte und Mägde und Ritter und Knappen und eine Frau. Wir hatten fünf Kinder - aber von ihnen allen lebt niemand mehr. Ich bin der einzige, der überlebte.`
"Wie kam das?", erkundigte sich der Zwerg.
Ein müdes Lächeln huschte über den Mund des Düsteren. "Ihr könnt es Euch nicht denken, Herr? So stammt Ihr nicht von dieser Welt, mein Zwerg?"
"Nein!" Trucad nickte und setzte sich auf einen der herumstehenden Stühle. Gedankenverloren starrte er in die Flammen im Kamin.
"Diese Welt stirbt", sagte er leise. "Ja, es ist so: Welten sterben genauso wie Menschen sterben. Jede Welt stirbt - und so stirbt auch diese Welt. Der blaue Nebel, der draußen zu sehen ist, vernichtet jedes Leben und auch ihr beide werdet sterben, wenn ihr diese Welt nicht bald verlasst!"
"Aber wie? Ein Gott namens Retned holte uns hier her, aber wir wissen nicht, wie wir zurückgelangen können!", sagte Lakyr. Und Trucad nickte bedächtig.
"Wisst ihr, warum euch Retned hier her holt. Nein, ihr könnt es nicht wissen! Ihr solltet diese Welt wieder aufbauen, vor dem Tode bewahren! Ihr alle, die ihr im Rattentempel von Ghormall geopfert wurdet! Aber Retned wusste nicht, dass es bereits zu spät ist! Die blauen Nebelschwaden sind bereits so dicht geworden, dass man kaum noch zehn Meter weit sehen kann! Das ist die beginnende Lethargie des Todes! Das Delirium hat begonnen, Freunde, glaubt es mir." Ein Husten unterbrach Trucad. Mit beiden Händen griff er nach seiner Brust. Durchsichtiger Schleim kam aus seinem Mund. Der Burgherr wurde noch düsterer.
"Das machen die blauen Nebelschwaden! Sie zerfressen die Lunge..." Erneut peinigte ihn ein Hustanfall. Er krümmte sich vor Schmerzen und hustete Schleim. Seine Augen verfärbten sich in seltsamer Weise und sein Gesicht wurde totenblass. Das Feuer des Kamins warf gespenstische Schatten auf sein Angesicht und ließ ihn noch unheimlicher, noch düsterer erscheinen. Schweiß brach ihm aus, kalter Schweiß. Er klebte in seinen Haaren und lief ihm die Stirn hinunter.
"Das Delirium hat begonnen", wiederholte er und stand auf. Wankend schritt er zum offenen Fenster. Der eiskalte Wind fuhr ihm durch die schweißnassen Haare und ließ ihn frösteln.
"Das Delirium beginnt", wiederholte er nochmals und starrte mit fiebrig glänzenden Augen in die von einem kalten Wind in Bewegung gehaltenen, blauen Nebelschwaden, denen diese Welt ihren Untergang zu verdanken haben würde.
"Aber nicht nur das Delirium dieser Welt beginnt", sprach er dann heiser, "sondern auch das meinige." Er hustete. Dann wandte er sich zu Lakyr und Gialbeth um.
"Ihr wollt wissen, wie ihr diese Welt wieder verlassen könnt, nicht wahr?" Er röchelte und Lakyr stützte ihn, denn er drohte, in sich zusammenzusinken.
"Ihr müsst..." Weiter kam er nicht, da brachen ihm die Augen und er sank tot in Lakyrs Arme.
*
Merguns Prophezeiung war eingetroffen. Sie hatten den Kadaver des Drachen bald
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