Elben Drachen Schatten
eine gute Hilfe sein könntest!" meinte nun der Namenlose.
Der Steuermann lächelte matt.
"Illusionen bedeuten selten eine gute Hilfe!" murmelte er.
Dann legte das kleine Boot ab.
Die nie ermüdenen Arme des Namenlosen ruderten es schnell den undurchdringbar scheinenden Nebeln entgegen, die Givera umgaben, und deren Anblick Kryll unwillkürlich ein Schauder überlief.
Den Namenlosen hingegen beschäftigten ganz andere Dinge.
Vor seinem geistigen Auge erschien das Bild einer Stadt. Sie war gekennzeichnet durch sieben riesige Türme...
Der Namenlose war sich sicher, den Boden dieser Stadt nie betreten zu haben - jedenfalls soweit sein Erinnerungsvermögen reichte...
Und doch...
Sie war ihm seltsam vertraut und er kannte auf einmal sogar ihren Namen. Ihr Name war Ghordyn.
Ghordyn, die Hauptstadt Drakaniens.
Die ersten Nebelschwaden zogen an dem kleinen Boot vorbei und noch immer dachte der Namenlose an Ghordyn. Es war ihm so, als wären die Bilder in seinem Inneren soetwas wie Erinnerungen aus einem anderen Leben...
Der Nebel wurde noch dichter.
Es dauerte nicht lange und man konnte nicht weiter als zehn Schritte weit sehen...
"Was war das?" meinte Kryll plötzlich und riß den Namenlosen aus seinen Gedanken.
"Wovon sprichst du?" fragte der Namenlose etwas mürrisch.
Kryll deutete mit dem Arm.
"Etwas muß sich im Nebel verborgen halten! Ich habe gesehen, wie es sich bewegte!"
"Es ist bekannt, daß der, der den Nebel von Givera durchdringt, unter Visionen zu leiden hat!" gab der Namenlose zurück.
Aber dieser Hinweis schien Kryll keinesfalls zu beruhigen.
Ganz im Gegenteil. Mißtrauisch blickte er sich um, die Hand stets am Schwertgriff.
Dann sah der König von Pragan ein riesenhaftes, überlebensgroßes Gesicht aus dem Nebel heraus auftauchen.
Kryll schrie auf, als er es erkannte.
Es war sein eigenes Gesicht.
"Sieh dort, Namenloser!" Sieh nur!" rief er.
Aber die Antwort seines Gefährten kam so leise, daß er sie nicht zu verstehen vermochte.
Furcht packte ihn, eine eisige Hand schien sich auf seine Schulter zu legen. Das riesige Gesicht kam näher heran und Kryll war wie gebannt von diesem Anblick.
Seine eigenen Gesichtszüge lächelten ihm zu.
Aus irgendeinem Grund löste diese Erscheinung bei Kryll ein Gefühl der Panik aus...
Nacktes Entsetzen stieg in ihm auf.
Er sah, wie sich das Gesicht verdüsterte, wie die Mundwinkel sich nach unten legten, wie sich auf der Stirn Falten bildeten...
Die Konturen des Gesichts begannen dann auf gespenstische Weise zu verblassen.
Eine unheimliche Wandlung setzte ein und als sie schließlich beendet war, war kein Gesicht mehr zu sehen - stattdessen aber ein Kopf aus schwarzem, düster glänzendem Metall.
Und dann war die Erscheinung vorüber.
Kryll sah nur noch wabernde Nebel.
"Ihr Götter!" flüsterte er. Sein Puls ging ihm bis zum Hals. Er fühlte noch immer Furcht - eine Furcht, für die er keine Erklärung hatte.
*
Der Namenlose sah andere Dinge.
Vor seinen Augen tauchte ebenfalls ein Gesicht aus dem Nebel auf. Es war das Gesicht eines Mannes von vielleicht dreißig Jahren. Eine Hälfte in ihm war sich sicher, dieses Gesicht nie zuvor gesehen zu haben, aber eine andere Stimme in ihm wußte, daß er es irgendwo her kannte.
Er versuchte sich, an den Namen zu erinnern, der zu diesem Gesicht gehörte, aber so sehr er sich auch bemühte - er wollte ihm nicht einfallen, obwohl er glaubte, ihn schon einmal gewußt zu haben.
Die Erscheinung kam näher.
"Wer bist du?" rief der Namenlose dem Gesicht entgegen.
"Du müßtest es wissen!" kam es zurück. "Erinnerst du dich nicht?"
"Würde ich sonst fragen?"
"Nein, vermutlich nicht. Es ist traurig..."
"Was ist traurig?"
"Das du dich nicht erinnerst!"
Und dann, nach kurzer Pause erklärte das Gesicht: "Mein Name ist Arl!"
Arl! Auch dieser Name kam ihm bekannt vor... Es war eher ein unbestimmtes Gefühl, als irgendeine greifbare Erin- nerung. Eine Ahnung, mehr nicht.
"Und wie lautet dein Name?" fragte das Gesicht.
Der Namenlose stutzte.
Einen Moment lang zögerte er, bevor er antwortete.
"Ich habe keinen Namen", rief der Namenlose der Erscheinung fast entschuldigend zu.
Für sein überlebensgroßes Gegenüber schien das nicht überraschend zu kommen.
"Du hast deinen Namen verloren - genau wie du dein Gesicht verloren hast!" erwiderte Arl.
"Ich kann mich nicht erinnern, je einen Namen besessen zu haben!" sagte der Namenlose trotzig.
"Ich glaube dir deine Gleichgültigkeit nicht!" gab Arl
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