Elben Drachen Schatten
Kraft, die ihm wahrscheinlich sogar erst in die Lage versetzt hatte, das Elbenreich zu gründen und aufzubauen, vor der er sich aber nach wie vor fürchtete.
»Ich kann nicht mein eigenes Gesetz missachten und Naranduin ansteuern, nur um ein paar Steine zu suchen«, sagte er düster.
»Euer Gesetz ist falsch, mein König!«, hielt Sandrilas mit plötzlicher Heftigkeit dagegen. »Den Schatten der Vergangenheit sollte man sich stellen. Ich fürchte, Ihr werdet schon sehr bald keine andere Wahl haben!«
Keandir schwieg einen Moment, bevor er leise sagte: »Ja, da mögt Ihr recht haben.« Dann hob sich seine Stimme wieder. »Dennoch will ich alles gut bedenken und nichts überstürzen.«
»Die Schlachten von morgen werden gewonnen oder verloren durch die Entscheidungen, die wir hier und jetzt treffen, mein König«, sagte der Prinz. »Dass solltet Ihr nicht vergessen!«
Königin Ruwen fühlte zur selben Zeit tiefe Erleichterung.
»Mein geliebter Kean! Es geht ihm gut«, sagte sie und seufzte tief auf. »Er hat überlebt, und ich fühle, dass die Gefahr zumindest für den Moment vorüber ist.«
Ruwen erhob sich von ihrem Platz. Das lange dunkle Haar fiel ihr offen über die Schultern. Sie war von zeitloser Schönheit, ihr elfenbeinfarbenes Gesicht fein geschnitten, und ihre Figur entsprach dem Ideal einer Elbin. Mit ihr zusammen weilte die Heilerin Nathranwen im großen Kaminzimmer im Palas von Burg Elbenhaven. Sie war seit langem eine Vertraute der Königin, und auch der Umstand, dass sie eine Zeitlang am Hof des Großkönigs Magolas in Aratania gedient hatte, änderte daran nichts. Im Gegenteil: Da Ruwen ihre Enkel Daron und Sarwen noch nie mit eigenen Augen gesehen hatte, lauschte sie gern Nathranwens Berichten, auch wenn sie jeden davon schon dutzendfach gehört hatte und vieles von dem, was die Heilerin aus ihrer Zeit am Hof von Aratania erzählte, Anlass zu großer Sorge bot. Doch Nathranwens Worte erleichterten es Ruwen, eine geistige Verbindung zu ihren Enkeln aufzunehmen und sich ihre Gesichter vorzustellen.
Manchmal war diese innere Verbindung so stark, dass sie mit den Augen der Säuglinge zu sehen vermochte. Aus der Wiege heraus blickte sie dann in die Gesichter ihres Sohnes Magolas und jener Rhagar-Prinzessin, die ihr Sohn zur Frau genommen hatte. Während eines Besuchs des greisen Königs von Aratan in Elbenhaven hatte Magolas sie kennengelernt, und die Leidenschaft hatte ihn gepackt. Ruwen verfluchte innerlich den Tag, an dem dies geschehen war. Schon damals hatten Visionen sie heimgesucht, in denen sie gesehen hatte, wie sich Larana in eine groteske Schattenkreatur verwandelte. Fast eine Jahrhunderthälfte lang hatte sie diese Visionen nicht mehr gehabt, doch seit der Geburt der Zwillinge waren sie wieder häufiger aufgetreten.
Wenn Ruwen mit den Augen ihres Enkels Daron und ihrer Enkelin Sarwen aus der Wiege schaute, wurde sie auch Zeuge der düsteren Rituale, denen die beiden Kinder unterzogen wurden. Der Blick von Magolas’ vollkommen schwarzen Augen ruhte dann auf den Kindern, während er Zauberformeln murmelte, die nichts mit der Magie der Elben gemein hatten, und ihnen Hexenzeichen auf die Stirn und die Hände malte.
In jenen Augenblicken spürte Ruwen die dunkle Kraft, die nach den Seelen ihrer beiden Enkel griff, und schauderte dabei bis tief ins Mark. Es war unerträglich für sie, dass es nichts gab, was sie dagegen tun konnte, denn sie spürte deutlich, wie die Dunkle Macht Einfluss über die Zwillinge gewann.
Ruwen fühlte das Unheil nahen, so als wäre es bereits geschehen. Ein Schatten verdunkelte ihrer aller Schicksal.
»Euer Herz ist nicht wirklich erleichtert«, stellte Nathranwen fest, die als Heilerin ein gutes Auge sowohl für die körperliche als auch für die seelische Verfassung ihrer jeweiligen Gesprächspartner hatte. Dabei spiegelte sich das eine im anderen, und oft genügte es Nathranwen schon, wenn sie den Klang einer Stimme hörte oder das kaum sichtbare Zucken gewisser Muskelpartien im Gesicht eines anderen sah.
»Ich fürchte, dieser Angriff auf meinen Gemahl war nur der Anfang des großen Krieges, den wir seit langem heraufdämmern sehen«, gestand die Königin. »Und natürlich bedrückt es mich über die Maßen, dass mein geliebter Sohn Magolas zum Feind der Elbenheit und zum Diener der Finsternis geworden ist.«
»Es liegt mir fern, Magolas zu verteidigen«, antwortete Nathranwen. »Schließlich hat er mich von seinem Hof verbannt, damit ich keinen Umgang
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