Elben Drachen Schatten
gefangen. Die Sorge darüber, wie viel von der Finsternis des Augenlose in seiner Seele zurückgeblieben war, hatte er erfolgreich in den Hintergrund gedrängt, ebenso wie die Tatsache, dass er Fürst Bolandor über die wahren Umstände des Todes Hyrandils aufzuklären hatte.
Und da war noch etwas anderes, das sich in seine Gedanken drängte und auch die Bilder von der grünen Küste schließlich zurücktrieb. Der König dachte an seine Gemahlin und die Zwillinge, die sie unter dem Herzen trug. Er freute sich darauf, ihr diese frohe Botschaft überbringen zu können. Er sah ihr Gesicht vor sich, von Traurigkeit so umflort, dass man sie für eine vom Lebensüberdruss gezeichnete Frau halten konnte. Aber ihre Züge hellten sich auf einmal auf.
» Kean!«
»Ruwen …«
Für einen Lidschlag bestand eine geistige Verbindung zwischen ihnen. Hin und wieder kam dies vor, und dann glaubten die Elben, dass ein Lebender für kurze Zeit Verbindung zu Eldrana, dem Reich der Jenseitigen Verklärung, aufgenommen hatte. Dort spielten weder Entfernungen noch Zeit eine Rolle. Vor seinem inneren Auge sah Keandir, wie Ruwen sich die Hände auf den Bauch legten, der in dieser Vision bereits deutlich gewölbt war, obwohl das erst in einigen Monaten der Fall sein würde. Zwei Gesichter erschienen. Gesichter von Säuglingen, die aber rasch heranwuchsen. Aus Jungen wurden junge Männer. Namen geisterten durch Keandirs Gedanken.
Andir.
Magolas.
Das Schicksal.
Zwei Brüder, am selben Tag von derselben Frau geboren und von ungewöhnlich hoher Begabung. Würdige Söhne eines Elbenkönigs, dazu auserkoren, einmal jenes Reich zu regieren, das Keandir bereits deutlich vor sich sah. Und nicht nur er konnte es sehen, sondern offenbar auch die Eldran, wie man die vergeistigten Bewohner des Reiches der Jenseitigen Verklärung nannte.
» Andernfalls hätten sie uns diese Zukunft nicht gezeigt, Ruwen …«
»Ich weiß, Kean. Aber noch ist es nicht Gewissheit …«
Kaum einen Herzschlag lang hatte der Kontakt nach Eldrana bestanden, über den König Keandir mit seiner geliebten Ruwen verbunden gewesen war. Aber dem König war dieser Moment wie eine halbe Ewigkeit erschienen.
Ruwen wusste jetzt, dass ihr geliebter König lebte. Und sie wusste auch, dass sie durch eine Zwillingsschwangerschaft gesegnet war, was schon seit einem Zeitalter bei keiner Elbenfrau mehr der Fall gewesen war.
Ein verhaltenes Lächeln erschien auf Keandirs Züge. Die Zukunft hatte bereits begonnen. Es schien so, als würde sich ein neues Schicksal herausbilden, nachdem er durch seinen Sieg über den Furchtbringer den Weg dafür freigekämpft hatte …
»Lasst uns besser gehen, mein König«, sagte Prinz Sandrilas, als ein dumpfer, brummender Laut den Berg erzittern ließ.
»Gut, wir nehmen den kürzesten Weg, um zu unseren Schiffen zurückzukehren«, murmelte Keandir, der aus seinen Gedanken erwachte …
Die Elben erreichten die Westseite des doppelgesichtigen Affenkopfes und traten auf die Felsenterrasse, die dem Maultor vorgelagert war. Von dort aus blickten sie hinab in die sich vor ihnen erstreckende Schlucht, und nun wurde deutlich, dass diese Schlucht einst der Innenhof dieser gewaltigen Bergfestung gewesen war. Der Himmel gen Westen war weiterhin nebelverhangen, so als würde man gegen eine graue Wand starren. Eine magische Wand.
Hunderte von Äfflingen hatten sich in der Schlucht versammelt und bildeten eine völlig chaotische Menge. Manche flatterten aufgeregt umher, andere standen in kleineren Gruppen beieinander und tauschten schrille Lautfolgen aus. Sie waren offenbar tief verstört. Immer wieder kamen zwischen den Felsspalten und aus den Eingängen der uralten Wohnhöhlen an den Hängen weitere Ouroungour hervor, die offenbar noch nicht wussten, was sich in der Halle des letzten Königs ereignet hatte.
Zum wiederholten Mal wurde das schrille Geschrei der Ouroungour durch ein dumpfes, knurrendes Brummen unterbrochen.
»Ráabor«, murmelte Keandir, »der Riesenvogel.«
»Ihr kennt diese Kreatur?«, wunderte sich Sandrilas.
»Der Augenlose hat uns von ihr erzählt, als sein Schnarchen durch die Labyrinthe der Bergfestung hallte und den Boden zum Erzittern brachte.«
»Wir sind dieser Kreatur begegnet«, erklärte Sandrilas. »Allerdings galt der Appetit dieses Monstrums nur den Äfflingen, von denen einige in jener Nacht im Schnabel dieses geflügelten Riesen ihr Ende fanden.«
»Ein weiterer Beweis ihrer Dummheit, dass sie nicht daran denken, mit
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