Elbengift: Die Zwerge Von Elan-Dhor 1
haben wir keine Fremden mehr hier begrüßen können. Ihr seid die Ersten seit langer Zeit, die es geschafft haben, den Todesgürtel zu überwinden.«
»Zumindest einige von uns«, sagte Lhiuvan grimmig. Er versuchte, einen Blick auf ihr Gesicht zu erhaschen, doch genau wie die anderen hatte sie ihre Kapuze so tief herabgezogen, dass außer Schwärze nichts darunter zu erkennen war. Die allmählich aufziehenden Schatten der Abenddämmerung erschwerten es ihm zusätzlich. »Und das nur dank eurer Hilfe, als wir kaum noch Hoffnung hatten.«
»Ihr wärt sonst wie eure Gefährten ein Opfer der Sarn und der Ghoule geworden, das konnten wir nicht zulassen«, sagte die Unbekannte. »Werden noch mehr von euch kommen?«
»Nein, wir sind die Einzigen.«
»Dann habt ihr einen großen Fehler begangen, herzukommen.« Die Stimme der Frau klang enttäuscht. »Nun seid auch ihr hier gefangen. Zu wenige von euch haben überlebt, als dass es euch gelingen könnte, euch den Rückweg freizukämpfen. Was führt euch nach Tal’Orin?«
»Wir … suchen etwas«, antwortete Lhiuvan ausweichend. Der Schattenmahr hatte ihn dazu bringen wollen, sich ohne Umschweife nach dem Tor zu erkundigen, aber in Lhiuvans Bewusstsein gelesen, dass es seiner Meinung nach unklug gewesen wäre, ihre wahren Absichten direkt zu äußern, solange sie nicht mehr über ihre Retter wussten.
»Ich kann mir auch denken, was. Wenn euch die Hoffnung auf Schätze oder andere Reichtümer hergeführt hat, so habt ihr euer Leben umsonst aufs Spiel gesetzt. Hier werdet ihr nichts dergleichen finden«, behauptete die Unbekannte. »Nun, das spielt jetzt keine Rolle mehr. Selbst wenn Tal’Orin von Gold nur so überquellen würde, würde es euch nichts nutzen, da ihr diesen Ort nicht mehr verlassen könnt.«
»Wir werden sehen. Aber was ist mit euch? Wir haben nicht erwartet, Tal’Orin bewohnt vorzufinden. Wer seid ihr, und was hat euch hierher verschlagen? Ich habe deine Fragen beantwortet, nun sollten auch wir einige Antworten bekommen. Warum zeigt ihr uns nicht eure Gesichter, wie es die Höflichkeit gebieten würde?«
»Nein, unmöglich«, stieß sie hervor. »Unser Glauben verbietet uns, unsere Gesichter vor Fremden zu enthüllen. Das müsst ihr respektieren.«
»Und wie heißt du? Ich bin Lhiuvan.«
»Man nennt mit Aila. Du sollst Antworten auf alle deine Fragen bekommen, aber nicht hier und jetzt. Wir sind hier nicht sicher. Die Ghoule können die Mauern nicht überwinden, wohl aber die Sarn. Sie wagen sich selten bis in die Stadt, aber es kommt vor, wenn sie hungrig sind. Jetzt werden sie und die Ghoule sich an euren gefallenen Gefährten gütlich tun, sodass die Gefahr gering ist, aber wir sollten kein Risiko eingehen. Wir halten uns nur selten in diesen Außenbereichen auf, lediglich einige wenige Wachen sind hier postiert. Kommt mit uns. Wenn wir die bewohnten Teile der Stadt erreichen, werden wir uns um deine Verletzungen und die deiner Gefährten kümmern.«
Lhiuvan nickte nach kurzem Zögern. Dies alles war völlig anders, als er es erwartet hatte. Die seltsamen Bewohner dieser Stadt mochten sie in größter Not gerettet haben, aber solange er nicht mehr über sie und ihre Absichten wusste, blieben sie ihm unheimlich, und sein Misstrauen legte sich nicht.
»Auch unsere Vorfahren kamen einst hierher, weil sie etwas suchten«, berichtete Aila, während sie durch die mit Trümmern übersäten Ruinen der Stadt schritten. »Keine Schätze, sondern nur einen Ort der Ruhe und Abgeschiedenheit, an dem sie frei ihren Glauben ausleben konnten. Sie bildeten nur eine kleine Glaubensgemeinschaft, die von den großen Priesterorden nicht geduldet wurde. Man beschuldigte sie der Blasphemie, und sie wurden gejagt. Hier in Tal’Orin, weit abgeschieden von der Welt, glaubten sie einen Ort gefunden zu haben, an dem sie in Frieden leben konnten. Eine Zeitlang gelang ihnen das auch, aber dann kamen die Ghoule und schließlich die Sarn. Viele Tote ruhen vor den Mauern von Tal’Orin, und die Erde hier enthält etwas, wodurch sie nicht vermodern. Das lockte die Ghoule an. Aber ihre Gier beschränkt sich nicht allein auf totes Fleisch. Noch mehr verlangt es sie nach lebenden Leckerbissen. Sie konnten nicht in die Stadt herein, aber unsere Vorfahren waren hier gefangen. Bis sie die Gefahr erkannten, waren die Ungeheuer bereits in der Überzahl, und jeder Versuch, diesen Ort zu verlassen, endete blutig. So blieb es bis zum heutigen Tag.«
»Ich verstehe«, murmelte Lhiuvan.
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