Elbengift: Die Zwerge Von Elan-Dhor 1

Entwicklung zu überspringen. Ohne uns hätten sie nicht einmal eine gemeinsame Sprache und könnten sich nicht miteinander verständigen. Wahrscheinlich würden sie noch mit Steinen und primitiven Keulen aufeinander einschlagen. Manche der jungen Völker gäbe es vielleicht gar nicht mehr, weil sie von anderen, stärkeren ausgerottet worden wären.«
    »Vielleicht«, stimmte Kadunan zu. »Und vielleicht hätte es auch genau so kommen sollen. Wer hat uns eigentlich das Recht gegeben, in den natürlichen Kreislauf einzugreifen? Zur Freiheit gehört auch die Freiheit, Fehler zu machen. Fehler sind zumeist die besten Lehrmeister, viel besser als wir, wenn wir unser Wissen einfach an sie weitergeben. Was wäre, wenn zum Beispiel die Zwerge bereits älter als wir wären und von uns verlangen würden, ihrer Lebensart zu folgen? Wären wir glücklich damit, in dunklen Höhlen unter der Erde zu hausen, wie es ihnen am liebsten wäre, oder würden auch wir in so einer Situation verlangen, unser Leben nach unseren Vorstellungen führen zu können?«
    Seine Worte machten Thalinuel nachdenklich. Bislang hatte sie eine ebensolche Verbitterung wie Molakan über den Verrat der jüngeren Völker verspürt. Kadunans Worte jedoch ließen sie deren Denk- und Handlungsweise in einem zumindest geringfügig anderen Licht betrachten.
    Selbstverständlich würde auch sie sich nicht von anderen Völkern vorschreiben lassen wollen, wie sie zu leben hatte, doch war dieses Beispiel ziemlich weit hergeholt. Es ging um grundlegendere Dinge als nur die Frage, ob ein Volk auf oder unter der Erde leben sollte. Frieden, Ordnung und Recht waren Grundprinzipien, deren Wert jedes Volk anerkennen musste, das sich nicht dem Chaos und den Göttern des Bösen verschrieben hatte.
    Aber die Rebellion der anderen Völker galt ja auch nicht speziell diesen Prinzipien – grundsätzlich schienen sie diese zu akzeptieren. Dennoch waren während der Beratungen tiefe Gräben sichtbar geworden, die sich nicht mehr hatten überbrücken lassen. Im Gegenteil, nach einer kurzen Phase der Sachlichkeit hatte sich die Stimmung rasch wieder verschlechtert, nachdem die gegensätzlichen Standpunkte klar geworden waren und jede Seite auf ihren Ansprüchen beharrt hatte.
    Sie alle hatten die Entschlossenheit der jüngeren Völker unterschätzt, und es war König Lotharon nicht gelungen, ihren Forderungen Argumente entgegenzusetzen, die bei ihnen Gehör fanden. Insofern musste man das Treffen als gescheitert bezeichnen. Die Atmosphäre beim Abschied war kühl, fast schon frostig gewesen, und die Vertreter der Völker hatten keinerlei Hehl aus ihrer Absicht gemacht, mit oder ohne die Zustimmung der Elben künftig ihrer eigenen Wege zu gehen.
    Entsprechend tief saß die Enttäuschung im gesamten elbischen Trupp, selbst jetzt noch, mehrere Stunden nachdem sie von Tal’Orin aufgebrochen waren und sich auf den Rückweg nach Saltinan begeben hatten. Den bisherigen Weg hatten sie hauptsächlich schweigend zurückgelegt. Erst jetzt, während der ersten Rast, waren einige Gespräche aufgeflackert, die sich freilich allesamt mit dem zurückliegenden Treffen befassten.
    Thalinuel hatte sich bislang nicht daran beteiligt. Sie saß etwas abseits auf einem der Felsbrocken, die reichlich in einer Talsenke am Fuße des Hügels verteilt lagen, in dessen Windschutz sie ihr Lager aufgeschlagen hatten. Stumm begnügte sie sich damit, den anderen zuzuhören und nachzudenken.
    Und es gab eine ganze Menge, worüber sie nachdenken musste.
    Bislang war ihre Sicht der Dinge klar und geordnet gewesen. Ihr Volk hatte stets auf der Seite des Guten gestanden und war selbstlos zu einem Mentor der jüngeren Völker geworden, um auch ihnen den Weg zum Licht zu weisen. Der Gedanke, dass die jüngeren Völker dies aus irgendwelchen Gründen gar nicht wünschten und sich in ihrer Freiheit beschnitten fühlten, war ihr bisher nicht im Entferntesten gekommen.
    Nun jedoch hatten sich in diesem Weltbild tiefe Risse gezeigt. Sie war sich nicht mehr sicher, was sie denken und glauben sollte; alles war mit einem Mal so ungeheuer verworren und kompliziert geworden.
    »Das ist doch absurd!«, empörte sich Molakan. »Jedes intelligente Wesen bis auf die Zwerge und Goblins lebt an der Oberfläche, nur einige Tiere verkriechen sich in Höhlen und unter der Erde. Selbst wenn die Zwerge Millionen Jahre älter wären als wir, würde kein Elb sich jemals von ihnen zu einem Dreckwühler machen lassen. Wenn solcher Unsinn alles