Elbengift: Die Zwerge Von Elan-Dhor 1
Bereits nach einer Woche konnte er die Schienen entfernen. Das Gefühl war in seine Beine zurückgekehrt, und er konnte bereits aus eigener Kraft kleine Schritte machen. Obwohl es sicherlich für Sila ein großes Opfer gewesen war, auf ihr eigenes kleines Reich zu verzichten, begannen die Wände des Zimmers ihn einzuengen, und er war froh, als er es verlassen konnte. Zwei Tage lang verbrachte er den größten Teil der Zeit damit, auf einem Holzschemel vor dem Haus zu sitzen, und lernte während dieser Zeit auch zahlreiche andere Einwohner Waldhains kennen.
Ihre Lebensweise und seine trennten Welten, dennoch änderten sich manche seiner Einstellungen und Ansichten über die Menschen während dieser Zeit. Die Bauern hier unterschieden sich in vielfacher Weise von den eingebildeten Würdenträgern an den Königshöfen, die er bislang kennengelernt hatte. Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, dass man dieses Volk nicht über einen Kamm scheren konnte. Es war in sich wesentlich vielfältiger als sein eigenes.
Bald begann er damit, kleine Spaziergänge durch das Dorf und später auch die nähere Umgebung zu unternehmen, bis er schließlich das Gefühl hatte, wieder vollkommen gesund zu sein.
Damit rückte für ihn immer stärker die Frage in den Mittelpunkt, wie er ins goldene Tal zurückkehren sollte. Ein kleiner Teil von ihm bedauerte fast schon, dass für ihn die Stunde des Abschieds von Waldhain nahte, aber er wusste, dass er nicht länger als nötig hierbleiben konnte. Er gehörte nicht hierher.
Pferde gab es weder in Waldhain noch einem der benachbarten Dörfer. Die wenigen Tiere, die die Einwohner einst besessen hatten, waren ihnen schon vor langer Zeit von den Barbaren geraubt worden. Zu Fuß konnte Lhiuvan sich unmöglich auf den Weg in die Einöden des Nordens machen – er würde Monate brauchen, bis er das goldene Tal erreichte.
Seine einzige Möglichkeit bestand darin, zum Schattengebirge zurückzukehren, um entweder bei den Zwergen oder in einem der nahe gelegenen Menschendörfer darauf zu warten, dass ein Elbenschiff eintraf, was aber ebenfalls Monate dauern konnte. Vielleicht konnte er sich jedoch auch einer Karawane anschließen, oder er fand jemanden, der bereit war, ihm das Geld für ein Pferd vorzustrecken.
Diese Fragen beschäftigten ihn, während er an einem sonnigen Nachmittag an einen Baum nahe des Ortsrandes gelehnt saß, als seine Welt ein weiteres Mal von einem Moment auf den anderen zersplitterte.
DU WIRST NICHTS DERGLEICHEN TUN, vernahm er zum ersten Mal seit Wochen wieder die vergessene fremde Stimme in seinem Geist, und seine Erinnerungen kehrten zurück. ICH HABE ANDERE PLÄNE MIT DIR. GROSSE PLÄNE, UND NUN ENDLICH IST DIE ZEIT GEKOMMEN, SIE IN DIE TAT UMZUSETZEN. DIESE WELT WIRD IN BLUT ERTRINKEN UND TOSEND UNTERGEHEN. MIT DEINER HILFE WERDE ICH EINEN BRAND ENTFACHEN, WIE SIE IHN SEIT DEN TAGEN DES FINSTEREN ZEITALTERS NICHT MEHR GESEHEN HAT!
11
DER HÜTER DER TÜRME
Thalinuels Geschichte, Juni 11657
alter Zeitrechnung der Elben
»Eine Einladung ins Haus der Türme?«, hakte Thalinuel verblüfft nach. »Ich? Bist du ganz sicher?«
»Molakan, der Hüter der Türme von Saltinan, erwartet dich heute Nachmittag beim vierten Glockenschlag«, bestätigte der Bote, der sie im Haus der Genesung aufgesucht hatte, und bedachte sie mit einem Blick, als hielte er ihr bloßes Nachfragen schon für so etwas wie einen Frevel. Oder eher eine Beleidigung, dass sie es wagte, seine Worte anzuzweifeln. »Er hat mir persönlich den Auftrag erteilt, dir seine Einladung zu überbringen.«
»Dann wird es wohl seine Richtigkeit haben. Bitte entschuldige meine Skepsis. Ich frage mich nur, warum ein so edler und sicherlich vielbeschäftigter Mann ausgerechnet mich zu sehen wünscht.«
»Darüber weiß ich nichts, und es geht mich auch nichts an. Das mag er dir selbst sagen.«
Mit einer angedeuteten Verbeugung verabschiedete sich der Bote und ließ Thalinuel mit wachsender Verwirrung zurück. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Molakan sich nur nach ihrem Befinden erkundigen wollte, obwohl der gewählte Zeitpunkt für die Einladung darauf hindeutete. An diesem Tag sollte sie aus dem Haus der Genesung entlassen werden. Nasiluan hatte angekündigt, um die Mittagsstunde noch einmal nach ihr zu sehen und ihren Arm ein letztes Mal zu untersuchen, ehe er eine endgültige Entscheidung traf, doch gab es praktisch keinen Zweifel daran, wie diese ausfallen würde. Ihre Wunde war dank seiner Heilkunst so gut
Weitere Kostenlose Bücher