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Elbenschswert

Titel: Elbenschswert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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gerne zwanzig oder dreißig Menschen
gelebt hatten. Welches Geschöpf war imstande, so vielen
Menschen solche Angst einzujagen? Er beantwortete sich
seine eigene Frage selbst: Dasselbe Geschöpf, das das
Blutbad auf dem Köhlerplatz angerichtet hatte. Und das
Schlimmste war, er glaubte zu wissen, um wen es sich
handelte. Wenn sein Verdacht zutraf, dann war es seine
Schuld, dass es hier war.
Hinter ihm polterten Schritte durch die Tür. Braiden,
Parzifal und Landon.
»Sind … sind sie alle tot?«, flüsterte Landon.
Lancelot drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme
des Jungen kam. »Es ist niemand hier«, sagte er. »Die
Häuser sind alle verlassen. Mach dir keine Sorgen – ich
glaube, sie sind einfach geflohen. Sicher sind sie noch am
Leben.«
»Sie würden niemals weglaufen«, behauptete Landon
mit zitternder Stimme. »Das hier ist alles, was wir haben!
Wir können nirgendwo anders hin.«
»Aber hier sind sie nicht«, sagte Braiden, deutlich grober
als Lancelot. Vermutlich war dieser Ton richtig, überlegte
Lancelot. Der Junge war nicht in der Verfassung, auf Verständnis oder Sanftmut zu reagieren.
Wenn sie durch die Mauer aus Entsetzen und Kummer,
hinter der er sich verkrochen hatte, dringen sollten, dann
mussten sie wohl unfreundlich sein.
Dennoch tat Landon ihm unendlich Leid. Bevor Braiden
weiterpoltern konnte, fragte er: »Kannst du Feuer machen?
Es wird allmählich kalt und ehrlich gesagt würde ich mich
wohler fühlen, wenn ich etwas sehen könnte.«
Landon antwortete nicht, aber er begann lautstark irgendwo im Dunkeln herumzusuchen. Sie hörten, wie eine
Truhe geöffnet und wieder zugeschlagen wurde, dann eilte
der Junge zur Feuerstelle, warf eine Hand voll Holz auf
die erkaltete Asche und begann schnell zwei Feuersteine
aneinander zu schlagen. Schon nach wenigen Augenblikken glommen die ersten Funken auf, die Landen mit großem Geschick zu einer kleinen Flamme erweckte. Lancelot spürte fast so etwas wie Neid. Selbstverständlich konnte auch er mit Feuersteinen und anderen Hilfsmitteln ein
Feuer entfachen, aber längst nicht so schnell und mühelos
wie dieser Junge.
Nach wenigen Minuten brannte in der aus groben Steinen errichteten Kochstelle ein kleines Feuer, in das Landon vorsichtig größere Scheite legte, um die Flammen
nicht zu ersticken statt sie weiter anzufachen. Die Wärme
tat gut und das Licht, so blass es sein mochte, reichte doch
aus, um den Raum zur Gänze zu erhellen.
Die Einrichtung war ausnahmslos roh aus Brettern und
kaum bearbeiteten Balken selbst gezimmert und das mit
eindeutig mehr gutem Willen als handwerklichem Können, und es gab nicht den geringsten Schmuck oder Zierrat. Aber er sah auch noch etwas, was ihn zumindest ein
wenig beruhigte: Das Haus machte nicht den Eindruck, als
wären seine Bewohner kopflos geflohen.
Es war verlassen, aber alles war ordentlich und aufgeräumt. Die Menschen hier hatten zumindest Zeit gehabt,
wegzugehen, statt in Panik um ihr Leben zu laufen.
Nachdem das Feuer richtig brannte, ging Parzifal noch
einmal nach draußen um ihr Gepäck zu holen, und Lancelot legte die schweren Läden vor, die es an den beiden
Fenstern gab. Sie waren grobschlächtig zusammengezimmert, würden aber im Zweifelsfall nicht einmal einem
entschlossenen Faustschlag standhalten.
Trotzdem fühlte er sich wohler, nachdem er sie geschlossen hatte – und noch ein bisschen sicherer, als Parzifal zurückgekommen war und die Tür hinter sich zuschob.
Lancelot musste ihn nicht eigens dazu auffordern – er legte den Riegel vor und vergewisserte sich, dass er auch
sicher an seinem Platz saß. Parzifal hätte es niemals zugegeben und Lancelot hätte ihn auch niemals danach gefragt,
aber es war deutlich zu erkennen, dass der junge Tafelritter Angst hatte. Große Angst. Ebenso wie Braiden und
Lancelot. Die beiden Ritter mochten in ihrem Leben schon
hundertmal mehr Tote gesehen haben als er und tausendmal mehr Schrecken erlebt haben, aber das, was sie in den
Köhlerhütten erblickt hatten, ging weit über die Bilder
hinaus, die sie kannten.
Der Tod, auch der gewaltsame Tod, gehörte zu ihrem
Leben, aber was diesen Menschen angetan worden war,
das war mehr: das Wüten eines Dämons, den sinnloser und
unstillbarer Hass auf alles Lebendige, Warme und Atmende antrieb.
»Wir sollten –«, begann Parzifal, brach mitten im Satz
ab und sah hoch. Auf seinem Gesicht erschien ein angespannter Ausdruck.
»Was habt Ihr?«, fragte Landon

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