Elbensturm: Die Zwerge von Elan-Dhor
die Luft abzuschnüren drohte.
Molakan reichte die Liste an einen Krieger neben sich weiter, der sie kurz darauf an sie weitergab. Thalinuel schwindelte, sie hatte das Gefühl, der Boden würde ihr unter den Füßen weggezogen. Ein glühendes Schwert schien sich in ihre Brust zu bohren.
Sie brauchte nicht lange zu suchen; Verilons Name stand gleich als vierter auf der Liste.
22
DIE MAUER
September 9430 neuer Zeitrechnung der Elben
»Die Außenbereiche werden nicht zu halten sein«, stellte Warlon fest. »Die Mauern sind zu niedrig und zu wenig befestigt. Keine Wehrgänge, keine Zinnen, die Schutz bieten – nur ein Mäuerchen, über das ein Soldat zur Not sogar ohne Leiter klettern kann. Wir hätten längst schon viel mehr Wert auf ihren Ausbau legen sollen.«
»Eine Situation wie diese konnte niemand vorhersehen«, entgegnete Kriegsmeister Sokan. »Deshalb war der Außenwall ja auch nie für einen solchen Zweck konzipiert worden. Er soll die Ernte vor Tieren und die Karawanen vor Plünderern schützen, aber keine feindliche Armee abwehren.«
»Dennoch denke ich, wir sollten ihn nicht einfach kampflos preisgeben.«
»Aber Ihr habt gerade gesagt …«, begann Sokan.
»Ich weiß, was ich gesagt habe«, fiel Warlon ihm ins Wort. »Natürlich ist der Außenwall nicht zu halten, aber wir können den Soldaten einen blutigen Zoll abverlangen, wenn sie ihn überwinden. Sie werden sich sehr mutig fühlen, wenn wir uns vor ihnen im Inneren des Berges verstecken. Deshalb sollten wir ihnen vor Beginn der Belagerung noch einmal in Erinnerung rufen, warum unsere Krieger als Kämpfer berüchtigt sind. Es wird den Kampfesmut der Menschen ein wenig abkühlen.«
Warlon ließ seinen Blick umherwandern. Der größte Teil der Ernte war bereits eingeholt worden, und die Nahrungsmittellager waren gut gefüllt. In aller Eile wurden auch die letzten Äcker noch abgeerntet, außerdem trieb man das im Freien weidende Vieh ins Innere des Berges. Arbeiter mauerten das Tor in der Mauer von innen zu. Es bestand nur aus Holz und würde selbst ohne einen Rammbock leicht einzureißen sein. Zugemauert würde es bessere Dienste leisten, zumal jetzt niemand mehr die Mine betreten oder verlassen musste.
Warlon drehte sich um und ließ seinen Blick an der Flanke des Kalathun entlang in die Höhe schweifen, des Berges, der über der Mine aufragte. Der Weg empor zum Baran-Tahal, dem großen Tor von Zarkhadul, war eng und gewunden. Er würde leicht zu verteidigen sein, vor allem aber war es nicht möglich, schweres Kriegsgerät darüber zu transportieren. Das war wichtig, denn das Tor war der größte Schwachpunkt der Verteidigungsanlagen.
Das ursprüngliche Baran-Tahal war ein Koloss aus Holz und Stahl und Stein gewesen, ein mehr als ein Meter dickes Meisterwerk zwergischer Handarbeit, das keine noch so große Ramme hätte durchbrechen können. Aber der Hauptzugang zu der Mine war für mehr als tausend Jahre unter unzähligen Tonnen von Gestein verborgen gewesen. Es hatte als unmöglich gegolten, ihn überhaupt wieder freizulegen, doch mittels gleichzeitiger Arbeiten von innen und außen und mit dem Einsatz von Sprengpulver war es schließlich doch gelungen.
Die gewaltigen Torflügel jedoch waren zerstört gewe sen. Man hatte sie neu gefertigt, doch bei weitem nicht so massiv wie einst. Seit der Neubesiedlung wurde überall in der Mine gearbeitet, und diese Arbeiten waren noch längst nicht abgeschlossen. Irgendwann einmal würden sie ein neues Tor fertigstellen, das sich mit dem alten messen konnte, doch würde dies viele Jahre in Anspruch nehmen. Das derzeitige war zwar wehrhaft, aber nicht undurchdringlich.
Umso wichtiger war es, dass die Menschen es erst gar nicht erreichten. Die Verteidigung von Warlons Volk würde sich keinesfalls nur darauf beschränken, sich hinter dem Tor zu verschanzen. Es gab eine Vielzahl kleiner Löcher in der Außenwand des Berges, durch die angreifende Feinde beobachtet und mit Pfeilen beschossen oder Speeren beworfen werden konnten. Manche dieser Öffnungen waren an der Außenseite verkleidet, einige in Form kleiner, schmaler Türmchen mit spitzen Dächern, andere bildeten kleine Balkone oder Wehrgänge mit hohen, Deckung bietenden Brüstungen und Zinnen.
Einige der Türmchen und Erker waren sogar mit blauen Fähnchen geschmückt, die das Wappen Zarkhaduls zeigten. Statt im Wind zu flattern, hingen sie derzeit jedoch nur nass und schwer vom Regen herab, als spürten selbst sie das drohende Unheil.
All diese
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