Elchmus (German Edition)
Tank ist voll“, sagt Elke und steigt ein „Der Typ da drüben hätte uns aber bestimmt als Tramper mitgenommen“.
„Langhaarige in dem Alter haben sich nicht weiterentwickelt“, fügt sie abfällig hinzu. Elke kennt diese Männer aus dem Ruhrgebiet. Sie tauschen dann doch die Plätze. Elkes Kopf ist leer, der Tank aber wieder voll. „Entschuldigung, eine Frage“ klopft der Langhaartyp ans Fenster an, ganz sympathisch mit weißen Zähnen.
„Haben Sie zufällig ´nen Pfundstück für die Autostaubsauger?“
„Wie bitte?“, fragt Elke.
„Sie würden mir eine große Freude machen, wenn Sie wechseln könnten. Für den Staubsauger“.
„Sorry, wir nehmen keinen mit!“, sagt Ralf bestimmt, ohne ein Wort verstanden zu haben. Eigentlich müsste er noch den Sitz verstellen, aber er braust lieber schnell mit angewinkelten Beinen davon. Drogengeschichten kann er hier und jetzt überhaupt nicht gebrauchen.
Es ist noch hell, als sie in St. Ives ankommen. Graffiti ist hier fehl am Platz. Deutsche Gartenzwerge wären es aber auch. Jugendliche sitzen hier nicht rauchend auf den Bänken. Koma saufen mit Flatrate gibt es hier nicht. Hier treiben auch die Coolsten der Coolen Sport. Surfen ist angesagt. Nicht saufen. Aus au wird ur. Bodyboards werden Tag für Tag unermüdlich unterm Arm übers Kopfsteinpflaster getragen. Eine Oma vertreibt mit ihrem Stock lauthals die Möwen. Das sind ihre Fish and Chips. Ein fideler Opa und sein schlanker Dackel wackeln vergnügt mit dem Arsch auf dem Weg zu den verschlossenen Holzhütten unten am Ufer, in denen früher im Winter die Fischer am Ofen saßen und sich wärmten.
Fernsehen wird hier nicht geguckt. Trashfernsehen gibt es hier nicht. Bandscheibenvorfälle auch nicht. Orthopäden ebenfalls nicht. Ateliers und Galerien säumen die Gassen dieser Puppenstube am Atlantik, in der auch noch viele andere Abenteuer warten.
Auch das Plakat einer lachenden Familie wirkt an der Kirche im Kreisverkehr gar nicht spießig. St. Ives lädt einfach zu allem ein. Woanders muss man nicht mehr hin. Vielleicht liegt es an den unzähligen Souvenirläden, die alles verkaufen und nichts. Kitsch und noch mehr davon. Vielleicht auch an den vielen einladenden Cafés, die noch mehr Urlaub versprechen. Meerurlaub. Vielleicht auch an dem fehlenden Pier, auf dem es hier nicht rattert und knattert und holpert und poltert. Hier gibt es keine entlaufenen Gespenster aus der Geisterbahn.
Das ist ein richtiger Sommertag am richtigen Ort. Cottages, Landhäuser mit schwarz-weißem Fachwerk, mit Mauern, vom Alter liebevoll gezeichnet, Reetdächer, die so hübsch frisiert sind, wie der Buchsbaum davor. Und Gärten, die vor Rosen überquellen. Ja, hier hätte selbst der kleine Hobbit einen Cream Tea auf der Bank getrunken und einen Scone dazu genascht.
Heute gibt es zur Belohnung für die überstandene Polyesternacht erst Pub-, dann Strandabenteuer. Tische vorm Pub vermitteln ein anderes Kneipengefühl. Drei Tische auf dem Vorplatz sind wenig im Vergleich zu den dutzenden drinnen. Draußen gibt es aber das Meer gratis dazu. Direkt nebenan ist ein Verkaufshäuschen. Getränke zum Mitnehmen. Kaum zu glauben, dass die das direkt neben dem Pub verkaufen dürfen. Die alkoholfreien Getränke kosten dort nämlich weniger als die Hälfte.
Der fast menschenleere Strand lockt und ist ein schöner Kontrast zum Biergarten, der in dieser Lage aber für niemanden lange einer bleibt (was auch die wenigen Tische erklärt).
Heute gibt es daher Cola, die immer wärmer wird. Dabei geht die Sonne langsam unter. Die Jugendlichen haben ihre Bodyboards gegen Gitarren ausgetauscht und können auch damit den Mädels imponieren.
In dieser Nacht spielt aber der Strand selber für Elke und Ralf „Hotel Paradise“. Das höchste Glück ist eine Nacht unter freiem Himmel. Kein Fernseher, der im Hintergrund läuft, keine Nachrichten mit noch mehr schlechten Nachrichten, aber Wellen, denen noch mehr Wellen folgen. Und die noch mehr schöne Gedanken heranspülen. Die Welt ist endlich in den Fugen.
Langhaarige in England sind anders als in Deutschland. Stereotypen gibt es gar nicht. Nirgends. Fußballergebnisse gibt es hier nicht. Ralf hat fast vergessen, wie es in Deutschland war und weiß nicht, wieso er gerade jetzt an Fußball und seinen Dönermann denken muss. „Döner macht schöner“ stand in immerhin richtigen Deutsch bei ihm auf einem Schild vor der Tür. Innen hingen überall vergilbte Postkarten aus dem tiefsten
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