Elchmus (German Edition)
Anatolien. Deutschland hat ihn auf jeden Fall nicht gerade glücklich gemacht, denkt er. Das hier muss weitergehen, irgendwie. Mit Elke. Vielleicht wird ihm ein Traum verraten wie. Vielleicht hat da auch wirklich gerade ein Delphin gewunken. „Döner. Mit oder ohne Schaf?“, fragt der Türke, freundlich und akzentfrei.
Sein Kopf ist so unwahrscheinlich müde und fällt endlich langsam zur Seite. Auch eingefangene Hengste sind hier glücklich.
3 8
............. Holger hat mittlerweile seine Eltern angerufen. Und einige Freunde und Bekannte. Und erzählt jedem, Ralf und ihm gehe es gut und sie würden noch ´ne Weile bleiben. Im angemieteten Appartement. Und keiner fragt ihn „Wieso Ralf?“. Also, weiß auch drüben niemand, wo der Heckenpenner steckt. Die Gespräche sind daher immer schnell zu Ende.
Ralf und Elke genießen derweil ihre Zeit im Rosamunde Pilcher Land und die ländliche Stille am Meer. Sie genießen sogar die vielen heißen Autofahrten in dieser so schönen Umgebung. Holger trottet dahingegen weiter durch London. Wie ein Tourist, der aber mit eigener Wohnung kein richtiger Tourist mehr ist. Langsam kommt es jedoch bei ihm an, dass er irgendwann in naher Zukunft mal wieder was arbeiten muss. Verschiedene Möglichkeiten geistern durch seinen Kopf. Wie die Viecher in seinem Badezimmerteppich. Egal wie ekelig das jetzt wird. Er muss diesen Teppich da rausholen. Sonst holt er sich noch die Pest.
Mile End liegt im East End. Und hier laufen viele coole Leute rum, findet Holger. Szenetypen halt. Künstler, Maler, Fotografen. Zum vierten Mal an diesem Tag pocht sein bester Freund an die Hose. Seit Holger bei Sandrine ausgezogen ist, hat er keine Frau mehr gehabt. Ist irgendwie beschäftigt gewesen. Besser gesagt, ist Bus gefahren und hat dabei gegrübelt. Aber es gefällt ihm hier. Trotz Grübelei. Die Linie 25 hält direkt vor seiner Haustür. Er hat mittlerweile schon alle Sehenswürdigkeiten mit dem Bus abgeklappert, die auf der Route der Linie 25 liegen.
War sogar in der St. Pauls Cathedral und hat Alibibilder für die nicht vorhandene daheimgebliebene Geliebte oder Familie gemacht. Fürs nicht existierende Familienalbum. Vom Nachtbus, der zehnmal so schnell von der Oxford Street wieder in Mile End ankam als der über Tag. Er würde echt zentral wohnen ohne den ganzen Straßenverkehr.
Von Schlange stehenden Engländern, die sogar geduldig auf den Bankautomaten warten. Ob mit Nadelstreifenanzügen oder ohne. Von Schlipsträgern für Freunde und Verwandte, die sich so viele Matrixgestalten nicht auf einmal vorstellen konnten. Und von roten Telefonzellen, die auch im Handyzeitalter noch immer das Stadtbild so schön schmückten. Menschenleere rote Kabinen, die schon lange kaum noch Geschichten gehört haben. Von nie endenden Baustellen, die wieder durch andere ersetzt werden. Von nie fertigen Straßenarbeiten, die schon wieder neu zusammengeflickt werden, bevor sie überhaupt fertiggestellt worden sind. Von Schulkindern in Uniformen, die irgendwann in City-Freaks mutieren würden. Ungewollt und doch freiwillig. Und und und.
Erinnerungsbilder für den nicht vorhandenen Schuhkarton in seinem Appartement, das so gar keine Erinnerungen an sein Leben hat. Noch nicht. Aber der neue Boden sein Zuhause wenigstens gemütlicher und auch sauberer machen.
Im DIY-Heimwerkermarkt entscheidet Holger sich für einen PVC-Bodenbelag mit Schachbrettmuster. Baumärkte in England sind noch größer als die in Deutschland. Mehrere Bedienstete ignorieren ihn nicht. Soviel Höflichkeit wäre in Deutschland echt nicht vorstellbar gewesen. Jetzt fragt ihn sogar jemand, ob er eine Tasse Tee möchte, so als ob er im Baumarkt heimisch werden wollte. Und auch die Lautsprecherboxen versichern mehrmals, dass der DIY, in dem er sich befindet, exzellente Kundenratings zugewiesen bekommen hat. Ähnliches hatte er aber erst gestern auch über einen Mitkonkurrenten gehört.
Die Werbung verspricht halt immer alles. Holger streift weiter durch die Gänge und betrachtet fachmännisch die englische Ware. Conny Reimann hat es nicht in den englischen Baumarkt geschafft. Eine ihm unbekannte Pappfigur lächelt ihn bei den Bohrmaschinen an. Holger lächelt zurück. Conny Reimann hat es in Texas geschafft. Ist ein sympathischer Kerl.
Er aber auch. Holger wünscht sich mit einem Lächeln, dass er es hier in England schafft. Er hätte ein guter Handwerker werden können. Hatte er aber nicht gewollt. „Ich denke, ich gehe mal besser“ , hört
Weitere Kostenlose Bücher