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Elegie - Fluch der Götter

Elegie - Fluch der Götter

Titel: Elegie - Fluch der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Carey
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sich auf den Rückweg in die oberen Regionen.
    »Ich werde Speros herbringen, damit er einen Blick darauf werfen kann«, rief Tanaros ihm nach. »Er hat ein Händchen für diese Dinge. Es ist ein Makel in der Struktur , Traumspinner! Nicht mehr und nicht weniger. Du bist verrückt, wenn du etwas anderes glaubst!«
    In der durchglommenen Dunkelheit schenkte Uschahin ihm ein verzerrtes Lächeln und antwortete unverzüglich, wobei seine Worte hinter ihm herschwebten. »Verrückt? Ich, Vetter? Oh, ich glaube, das sollte die geringste unserer Ängste sein.«
     
    Lilias saß vor einem offenen Fenster.
    Die Gemächer, die man ihr in Ingolins Haus zugewiesen hatte, waren sehr schön. Der Salon, in dem sie sich nun aufhielt, war hell und luftig und von großen Fenstern umgeben, die in Spitzbögen ausliefen. Es waren je zwei Scheiben, die man mit Bronzegriffen, die wie Weinranken aussahen, öffnen und schließen konnte. Die Riverlorn liebten Licht und frische Luft.
    Ein Teppich aus fein gekämmter Wolle lag auf dem Boden; in ihn war ein verschlungenes Muster eingewebt, in dem sich die silberne Schriftrolle des Hauses Ingolin wiederholte. Er gab einen schwachen Duft von sich, wenn Lilias darüberging – wie Gras, das von der Sonne erwärmt wird.
    In einer Ecke des Salons stand ein Spinnrad. Ein Bündel weicher, süß duftender Wolle lag in einem Korb unberührt daneben. Die Edelfrauen der Ellylon waren stolz auf ihre Fähigkeit, Wolle zu spinnen, die so fein wie Seide war.

    Auch in Beschtanag hatte es ein Spinnrad gegeben. In tausend Jahren hatte sie es nur selten zur Hand genommen.
    Vor der südlichen Wand stand ein Regal mit einem halben Dutzend Büchern, gebunden in geschmeidiges Leder, das einen honigfarbenen Glanz hatte. Es waren Riverlorn-Bände – eine kommentierte Geschichte des Hauses Ingolin, die »Reise in die Irre« von Cerion dem Navigator, die Totenklage von Neherinach –, deren feste Pergamentseiten mit Ellylon-Schriftzeichen in einer leicht dahinfließenden Handschrift bedeckt waren. Obwohl Calandor Lilias beigebracht hatte, die Sprache der Ellylon zu sprechen und zu lesen, hatte sie sich bisher nicht dazu bringen können, die Bücher zu studieren.
    Es war deutlich zu sehen, dass diese Zimmer eingerichtet worden waren, um einen geschätzten Gast zu beherbergen, nicht aber um als Gefängnis zu dienen. Dennoch war die Außentür verschlossen, und hinter den schönen Fenstern erwartete sie ein Abgrund von mehreren hundert Fuß.
    Die Räume befanden sich in der Spitze eines der Außentürme. Von ihrem Platz aus konnte Lilias die Seeadler beobachten, die den Mittelturm umkreisten. Ihre Schwingen waren so grau wie Sturmwolken, doch Köpfe und Bäuche waren strahlend weiß wie der erste Winterschnee auf dem Beschtanag. Dreißig Sekunden dauerte eine Umrundung des Turms. Sie trieben in den aufsteigenden Strömungen und segelten mit ausgebreiteten Flügeln vorbei. Ihre Kreise waren weit, und sie kamen Lilias so nahe, dass sie die Vögel beinahe berühren konnte, wie ihr schien. Nahe genug jedenfalls, dass sie die daunenweißen Beine über den gelben, gebogenen Krallen erkennen konnte. Nahe genug, um die goldenen Ringe sehen zu können, welche die schwarzen Pupillen umgaben. Lilias spürte die Blicke der Vögel, die sie genauso zu beobachten schienen, wie sie die Tiere beobachtete. Vermutlich stimmte das sogar. Die Adler von Meronil dienten den Riverlorn.
    »Warum auch nicht?«, fragte Lilias die kreisenden Seeadler. »Das ist es doch, was wir Geringeren Schöpfer tun. Wir drücken der Welt unseren Willen auf und formen sie zu unserer Zufriedenheit. Seid ihr schließlich etwas anderes als die Raben von Finsterflucht?«

    Die Seeadler neigten die Schwingen und schwebten schweigend an ihr vorbei.
    »Vielleicht nicht.« Da sich die Adler nicht zu einer Antwort herabließen, beantwortete Lilias ihre Frage selbst und legte eine Hand auf die Scheibe des offen stehenden Fensters. Sie fühlte sich kühl und glatt unter den Fingerspitzen an. Tief unten lockte der Aven, ein silbernes, geteiltes Band, das die Insel umfloss, auf der das Haus Ingolin erbaut worden war, und sich von hier aus dem Meer entgegenschlängelte. »Am Ende geht es nur darum, wer euch benutzt, nicht wahr?«
    Es ertönte ein kratzendes Geräusch. Im Vorzimmer wurde die Außentür zu den Gemächern entriegelt und schwang auf.
    »Herrin Lilias.«
    Es war eine Ellyl-Stimme, sanft und musikalisch. Man konnte vieles an den verschiedenen Tonhöhen erkennen. Das

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