Elementarteilchen kuessen besser
Dann wäre sie wenigstens mit dem Rücken zu Philipp Graf gesessen und hätte ihn nicht permanent im Blickfeld gehabt. Jetzt konnte sie sich wenigstens in aller Ruhe auf ihr Essen konzentrieren.
Als Linda aufsah, bemerkte sie, dass Anna aufgehört hatte zu essen und völlig verdattert an ihr vorbei starrte. „Was ist passiert, Anna?“, fragte Linda und drehte sich in die fragliche Richtung um, ohne etwas Ungewöhnliches entdecken zu können.
„Das war gerade echt irre“, meinte Anna, als sie sich von ihrer Überraschung erholt hatte. „Da hat eben ein Kellner zwei benutzte Teller auf diese hübsche, barocke Kommode gestellt, eine der kleinen Schubladen aufgemacht und die ganzen Essensreste reinfallen lassen.“ Sie schüttelte ungläubig den Kopf, während Betty und Linda ihr mit hochgezogenen Augenbrauen zuhörten. „Das hat irre ausgesehen ... da! Da kommt noch einer und macht dasselbe. Kann das vielleicht eine ungewöhnliche Art von Müllschlucker sein?“
Nachdem sie den Vorgang noch zweimal beobachtet hatten, stimmten sie Anna zu. „Du hast recht. Vermutlich gelangt das Essen über eine überdimensionale Rutsche in einen Müllcontainer tief im Bauch des Schiffs.“
Betty nickte zustimmend mit vollem Mund und nuschelte nur ein kaum verständliches „Irre“.
Nach dem Essen schlenderten die drei Freundinnen über mehrere Decks und ließen sich von einer Varieté-Ankündigung dazu verleiten, sich die Show im großen Theatersaal anzusehen. Linda war fasziniert von der Leichtigkeit und Eleganz, mit der die Künstler wie in Las Vegas ihre akrobatischen Kunststücke vorführten und ein geheimnisvoller Zauberer im langen schwarzen Umhang Blumen und sogar hübsche, junge Damen verschwinden ließ. Die zwischendurch auftretende Tanztruppe heizte mit südamerikanischem Temperament die Stimmung an und der pantomimische Clown sorgte zusätzlich für Lachtränen und Begeisterungsstürme im Publikum.
Linda fühlte sich seit langem zum ersten Mal herrlich entspannt und fernab von den Problemen des Alltags. Sie war richtig glücklich!
Nach der Vorstellung umarmte sie spontan ihre Freundinnen und dankte ihnen aus ganzem Herzen für diese Reise. „Und jetzt machen wir einen Zug durch die Kneipen auf diesem Schiff – und ich zahle!“
Dritter Tag – morgens
Ich bin ... ein Schrauber, ein Dreher,
ein Ganz-Früh-Aufsteher. 1/1
Als Linda wieder von warmen Sonnenstrahlen geweckt wurde, kämpfte sie mit dumpfem Kopf und schweren Lidern gegen das warme Licht an. Sie hatten am Abend zuvor eindeutig zu lange gefeiert. Seufzend drehte sie sich vom hellen Vorhang weg, zog die Decke halb über den Kopf und schloss wieder die Augen. Wenigstens hatte sich Lindas Alkoholkonsum in Grenzen gehalten. Dadurch hatte sie immerhin nicht den Eindruck, in ihrem Kopf eine scharfe Bombe ticken zu hören, die bei der geringsten Bewegung in einem schmerzhaften Knall hochzugehen drohte. Vorsichtig hob sie den Kopf, stellte aber erleichtert fest, dass heute Nacht kein tonnenschweres Rhinozeros darauf gesessen hatte und sie demzufolge auch keinen Schmerz verspürte.
Nicht in Grenzen gehalten hatte sich die ausgelassene Stimmung bei dem gut gelaunten Kleeblatt. Betty war zu ihrer Höchstform aufgelaufen, Anna war gleich mit von der Partie gewesen und Linda hatte sich wie immer von den beiden mitreißen lassen. Sie hatten so viel gelacht und herumgealbert – wie früher auf den Studentenfesten. Bevor Linda völlig erschöpft ins Bett gefallen war, hatte sie noch eine Halstablette lutschen müssen, so ramponiert hatten sich ihre Stimmbänder angefühlt. Es war ein herrlich sorgloser Abend für sie gewesen!
Langsam schwang sie ihre Beine über die Bettkante und richtete sich auf. Ihrem Kopf ging es in Anbetracht der Umstände immer noch ziemlich gut. Dann konnte sie heute Morgen auch wieder joggen gehen. Gut.
Gesagt getan.
Nach der anschließenden Dusche, schaute Linda im Restaurant vorbei, in dem das Frühstücksbuffet aufgebaut war, und stellte angenehm überrascht fest, dass kaum Gäste anwesend waren. Da sie Betty und Anna nach dem letzten Abend noch etwas Ruhe gönnen wollte, setzte sie sich an einen leeren Tisch am Fenster im hinteren Teil des Raumes. Wie sie schon beim Joggen gesehen (und gespürt) hatte, waren sie in der Nacht in der Bucht von Santiago de Cuba eingelaufen. Nun war sie schon sehr auf Land und Leute neugierig und freute sich mit einer solch entspannten Sorglosigkeit auf die für sie neue Kultur dieser Insel, wie sie
Weitere Kostenlose Bücher