Elenium-Triologie
sie ihm an. »Ich weiß nicht warum, aber ich hatte schon immer ein wenig Angst vor der Dunkelheit.«
»Gern«, versicherte er ihr und nahm ihre kleine Hand in seine riesige Pranke. So saßen sie etwa eine Viertelstunde, während es auch auf der Straße zusehends dunkler wurde.
Plötzlich stieß Sephrenia ein schmerzliches Ächzen aus.
»Was ist geschehen?« fragte Sperber erschrocken.
Sie antwortete nicht sogleich, sondern stand auf und hob die Arme über den Kopf, wobei sie die Handflächen nach oben drehte. Eine verschwommene Gestalt schien vor ihr zu stehen, ein Mann, der mehr Schatten als Fleisch war. Ein schwach glühendes, längliches Etwas schimmerte zwischen seinen weit ausgebreiteten, behandschuhten Armen. Langsam streckte er diesen silbrig leuchtenden Stab vor. Er strahlte kurz auf, dann zog er sich zusammen und wurde zu einem festen Gegenstand, während der Schattenmann sich verflüchtigte. Sephrenia sank auf den Stuhl zurück und hielt den langen, schmalen Gegenstand mit einer seltsamen Mischung aus Trauer und Hochachtung.
»Was war das, Sephrenia?« fragte Sperber bestürzt.
»Noch einer der zwölf Ritter ist gefallen.« Es klang wie ein Stöhnen. »Das ist sein Schwert, ein Teil meiner Bürde.«
»Vanion?« fragte er und erstickte fast vor Angst.
Ihre Finger betasteten den Schwertknauf, erforschten das Muster in der Dunkelheit. »Nein«, erwiderte sie schließlich. »Lakus.«
Sperber spürte einen schmerzhaften Stich im Herzen. Lakus war ein älterer Pandioner gewesen, ein Herr mit schneeweißem Haar und grimmiger Miene, den alle Ritter aus Sperbers Generation als Lehrer und Freund verehrt hatten.
Sephrenia barg das Gesicht an Sperbers gerüsteter Schulter und weinte. »Ich kannte ihn schon als Jungen, Sperber«, wisperte sie.
»Kehren wir ins Ordenshaus zurück«, schlug er mitfühlend vor. »Wir können hier ein andermal weitermachen.«
Sie hob den Kopf und trocknete sich die tränennassen Augen. »Nein, Sperber«, sagte sie fest. »Etwas tut sich heute abend in diesem Haus – etwas, das sich wahrscheinlich nicht so rasch wiederholen wird.«
Er setzte zu einer Erwiderung an, doch plötzlich spürte er einen gewaltigen Druck unmittelbar hinter den Ohren. Es war, als hätte soeben jemand die Handrücken auf seinen Hinterkopf gelegt und presse sie mit mächtiger Kraft zusammen.
Sephrenia beugte sich angespannt vor. »Azash!« zischte sie.
»Was?«
»Sie beschwören Azashs Geist«, sagte sie entsetzt.
»Dann gibt es also keinen Zweifel mehr, nicht wahr?« Sperber stand auf.
»Setzt Euch wieder, Sperber. Ungeduld schadet nur!«
»So viele können es doch nicht sein!«
»Und was glaubt Ihr, erfahren wir, wenn Ihr die Gasse hochstürmt und das Haus mit allen, die sich darin aufhalten, in Stücke haut? Setzt Euch. Beobachtet und lernt!«
»Dazu bin ich verpflichtet, Sephrenia. Es ist Teil des Schwures – schon seit fünf Jahrhunderten.«
»Schwur oder nicht«, fauchte sie, »das ist viel wichtiger!«
Beunruhigt und unsicher ließ er sich auf den Stuhl zurück fallen. »Was machen sie?«
»Ich sagte es bereits. Sie beschwören Azashs Geist. Das kann nur bedeuten, daß sie Zemocher sind.«
»Was machen die Elenier dann dort? Und der Cammorier, der Lamorker, diese Pelosierin?«
»Ihre Anweisungen entgegennehmen, denke ich. Die Zemocher kamen nicht zum Lernen hierher, sondern um zu unterweisen! Das ist sehr ernst, Sperber – so todernst, daß Ihr es Euch nicht einmal vorstellen könntet.«
»Was sollen wir tun?«
»Im Augenblick nichts. Wir bleiben hier sitzen und beobachten.«
Wieder spürte Sperber diesen ungeheuren Druck auf den Hinterkopf, dann ein brennendes Prickeln, das durch alle seine Adern zu ziehen schien.
»Azash ist dem Ruf gefolgt«, erklärte Sephrenia leise. »Es ist außerordentlich wichtig, daß wir uns jetzt völlig still verhalten und nur Unverfängliches denken. Azash spürt Feindseligkeit.«
»Ich verstehe nicht, warum Elenier an den Ritualen für Azash teilnehmen.«
»Wahrscheinlich der Belohnung wegen, die sie erwartet,wenn sie ihn anbeten. Die Älteren Götter waren immer sehr verschwenderisch mit ihrer Belohnung – wenn es ihnen gefiel.«
»Welche Belohnung könnte eine annehmbare Bezahlung für den Verlust der Seele sein?«
Sephrenia zuckte die Schultern, was in der zunehmenden Dunkelheit kaum zu sehen war. »Ein sehr langes Leben, vielleicht. Reichtum, Macht – und für Frauen Schönheit. Es könnte auch vieles andere sein – an das ich nicht
Weitere Kostenlose Bücher