Elenium-Triologie
sich Otha anzuschließen. Er geht zu Otha, das stimmt, aber nicht in Lamorkand. Seine Generäle verstehen von der Kriegführung viel mehr als er selbst. Er ist immer noch in seiner Hauptstadt in Zemoch. Dorthin wollen Martel und Annias, und sie möchten, daß Ihr ihnen folgt.« Er machte eine Pause. »Man hat mich natürlich beauftragt, Euch das zu sagen«, gestand er. »Martel möchte, daß Ihr ihm nach Zemoch folgt und den Bhelliom mitbringt. Aus irgendeinem Grund haben sie Angst vor Euch, und ich glaube nicht, daß es nur daher rührt, daß es Euch gelungen ist, den Bhelliom zu finden. Martel will sich Euch nicht selbst stellen, und das paßt eigentlich gar nicht zu ihm. Wie auch immer, sie wollen, daß Ihr nach Zemoch kommt, wo Azash auf Euch wartet.« Kragers Gesicht verzerrte sich vor Grauen und plötzlicher Seelenqual. »Geht nicht, Sperber!« flehte er ihn an.
»Um Gottes willen, tut es nicht! Wenn Azash den Bhelliom an sich bringt, ist die Welt verloren!«
Schon früh am nächsten Morgen füllte sich das geräumige Kirchenschiff der Basilika bis schier zum Überquellen. Die Bürger von Chyrellos waren vorsichtig zu den Überresten ihrer Häuser zurückgekehrt, sobald König Warguns Soldaten die letzten Söldner Martels aufgespürt hatten. Die Bewohner der Heiligen Stadt waren gewiß nicht frömmer als andere Elenier, doch Patriarch Emban hatte als sehr menschliche Geste verkündet, daß der Bevölkerung, sogleich nach der Dankesmesse, die Kirchenlagerhäuser geöffnet würden. Da in Chyrellos nirgendwo sonst Lebensmittel zu bekommen waren, strömten dieBürger herbei. Embans Überlegung war, daß die gewaltige Zahl von Kirchenbesuchern seinen Mitpatriarchen den Ernst der Lage veranschaulichen würde – was bewirken mochte, daß sie ihre Pflichten ernst nahmen. Außerdem empfand Emban tatsächlich Mitleid mit den wirklich Hungernden. Seine eigene Körpermasse machte ihn für Hunger sehr empfänglich.
Patriarch Ortzel zelebrierte die Dankesmesse. Sperber fiel auf, daß der hagere strenge Kirchenmann in völlig anderem Tonfall sprach, als er sich an die Kirchengemeinde wandte. Seine Stimme klang beinahe sanft, und manchmal lag ehrliches Mitgefühl darin.
»Sechsmal«, flüsterte Talen Sperber zu, als der Patriarch von Kadach das abschließende Gebet anstimmte.
»Was?«
»Während seiner Predigt hat er sechsmal gelächelt. Ich habe mitgezählt. Sehr natürlich wirkt sein Lächeln allerdings nicht. Was haben wir wegen Krager beschlossen? Ich bin eingeschlafen.«
»Das ist uns nicht entgangen. Gleich, nachdem Oberst Delada über das Gespräch zwischen Martel und Annias berichtet hat, wird Krager vor der gesamten Hierokratie wiederholen, was er uns gestern erzählt hat.«
»Werden sie ihm glauben?«
»Ich denke schon. Delada ist der vertrauenswürdigste Zeuge überhaupt. Krager wird nur für eine Bestätigung sorgen und Einzelheiten hinzufügen. Wenn die Patriarchen erst mit Deladas Aussage konfrontiert werden, an deren Wahrheit sie nicht zweifeln können, wird es ihnen nicht schwerfallen, auch noch zu schlucken, was Krager berichtet.«
»Sehr schlau«, sagte Talen bewundernd. »Wißt Ihr was, Sperber? Ich habe die Idee schon fast aufgegeben, Kaiser der Diebe zu werden. Ich glaube, ich werde statt dessen in den Kirchendienst treten.«
»Gott, schütze den Glauben«, betete Sperber.
»Das wird er bestimmt, mein Sohn.« Talen lächelte väterlich.
Als die Messe zu Ende ging und der Chor mit feierlichem Gesang begann, gingen Pagen durch die Reihen der Patriarchen und riefen sie zur Teilnahme an der anschließenden Sitzung auf. Sechs weitere der bisher fehlenden Patriarchen waren in verschiedenen Verstecken der Neustadt gefunden worden, und zwei waren erschienen, die sich in die Basilika selbst verkrochen hatten. Der Aufenthaltsort der übrigen war immer noch unbekannt.
Während die Patriarchen feierlichen Schrittes das Kirchenschiff verließen, um sich zum Ratssaal zu begeben, hastete Emban, der noch geblieben war, um sich mit einigen Leuten zu unterhalten, prustend und schwitzend an Sperber und Talen vorbei. »Hab' fast was vergessen«, keuchte er, als er in ihrer Höhe war. »Dolmant muß den Befehl zur Öffnung der Kirchenlagerhäuser geben, wenn es nicht zum Aufstand kommen soll.«
»Müßte ich genauso fett werden, wenn ich in der Kirche was zu sagen haben möchte?« flüsterte Talen. »Dicke können nicht schnell laufen, und das ist schlecht, wenn was schiefgeht, und irgendwann wird einmal was
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